Schlagerette – feiern ohne CoronaHalt mich – aber anders
Unser Fazit nach dem unangenehmen Schlagerabend in Grenchen: Der beliebte Schlagertitel muss neu übersetzt werden.

Ja, mei, was für ein Echo! Für einmal geht es nicht um das «Echo der Berge» oder sonst ein lüpfiges Gutenachtliedli, sondern um den empörten Nachhall, den die Schlagernacht in Grenchen SO vergangenen Samstag verursachte (nur ein paar Kilometer weiter, im Kanton Bern, gab es da schon keine Partys mehr). Die Schlageretten waren dort auch zugegen, in der Koller Event Hall, zusammen mit fast 200 anderen Leuten. Kann sein, dass wir die musikalische Leistung der Künstlerinnen und Künstler, die an diesem Abend auftraten, zu wenig gewürdigt haben (Marianne Cathomen war und sang bezaubernd, einfach, dass das noch einmal gesagt sei).
Wir fühlten uns aber nicht ganz wohl. Das, obwohl von offizieller Seite her grünes Licht für ein solches Event gegeben worden war: Fakt ist nämlich, dass die Polizei die riesige Halle, das Luxory, zwei Tage zuvor inspiziert und sie als sicherheitstechnisch in Ordnung taxiert hatte. Fakt ist auch, dass das Gesundheitsamt des Kantons Solothurn an besagtem Abend zugegen war und ebenfalls die Meinung vertrat: Die Vorgaben für Schutzkonzepte und Grossveranstaltungen werden eingehalten.
Fakt ist aber auch, dass wir während des ganzen Abends daran dachten, dass das alles dem Coronavirus – Tschuldigung – scheissegal ist. Covid-19 würde, das denken wir, selbst dann unbeeindruckt bleiben, wenn Herr Bundesrat Berset höchstpersönlich die Bühne inspiziert hätte. Dem Virus ist es schnuppe, dass die Menge vor der Bühne sich nicht halb so wild wie sonst verhält, wenn Hansi Hinterseer auf die Bühne tritt, sondern nur verhalten tanzt. Es ist ihm gleich, dass Selfies mit den Stars verboten sind.
Das Virus würde selbst dann unbeeindruckt bleiben, wenn Herr Bundesrat Berset höchstpersönlich die Bühne inspiziert hätte.
Aber wer weiss, vielleicht ist Corona ja ein Schlagerfan, und alles ist noch mal gut gegangen.
Dennoch hatten wir keine Lust, mit dem Virus Verstecken zu spielen. Das wird in nächster Zeit auch nicht mehr möglich sein: Die Solothurner Regierung hat mittlerweile Veranstaltungen auf 30 Personen beschränkt – was für die Grenchener Konzerthalle wie für die meisten Kulturbetriebe heisst: Vorläufig finden keine Veranstaltungen statt.
Und was bedeutet das für die Zukunft?
Sowohl Marianne Cathomen als auch Hansi Hinterseer sangen an diesem Abend «Halt mich». Und meinten hoffentlich: Lieber nicht.
Denn Schlagerfans wissen: Man muss, ja, man darf, nicht alles wörtlich nehmen, was Stars von sich geben. Oder anders: Halt mich muss im Jahr 2020 einfach neu übersetzt werden. Halt mich heisst derzeit, sich auf dem Sofa zu kringeln und an vergangene Schlagerkonzerte zurückzudenken. Halt mich heisst wieder mal ein bisschen Dolly Parton hören, damit man beim nächsten Marianne-Cathomen-Konzert mitsingen kann. Halt mich heisst, Hansi Hinterseer auf Youtube zuzuschauen, wie er durch seine Heimat Tirol spaziert. Halt mich heisst schlicht und einfach Abstand nehmen, damit wir die Stars bald wieder hautnah erleben können.
Nina Kobelt ist Kulinarik-Redaktorin. Seit 1999 schreibt sie hauptsächlich über die schönen Seiten des Lebens – das sind neben Essen und Trinken auch Kultur und Reisen. Sie ist ausserdem Autorin eines Reiseführers, Begründerin eines Musikblogs und Literatur-Podcasterin.
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