Grimsel-Staumauer: Wie das Bundesgericht alle überraschte
Das Bundesgericht hat am Mittwoch eine Beschwerde der Kraftwerke Oberhasli (KWO) im Zusammenhang mit der Erhöhung der Staumauer am Grimselsee gutgeheissen. Umweltverbände sind erstaunt.
Es hätte ihr grosser Freudentag werden sollen. Drei Dutzend Aktivisten von neun Umweltschutzorganisationen, die seit Jahrzehnten gegen die Vergrösserung des Grimselstausees kämpfen, sind gestern ziemlich siegessicher zum Bundesgericht nach Lausanne gereist. In gelöster Stimmung posierten sie noch auf der Treppe vor dem Gebäude und lächelten für ein Gruppenbild.
Doch im Gebäude verdüsterten sich ihre Mienen immer mehr, je länger die Bundesrichter sprachen. Die Vorfreude wich zuerst Erstaunen, dann Unglaube und herber Enttäuschung. Das höchste Gericht des Landes schlägt ihnen den wichtigsten Trumpf gegen das Projekt aus der Hand, den Moorschutz.
Rückblende: 1987 nahm das Stimmvolk die Volksinitiative «zum Schutz der Moore» an, die sogenannte Rothenthurm-Initiative. Seither sind per Bundesverfassung «Moore und Moorlandschaften von besonderer Schönheit und gesamtschweizerischer Bedeutung geschützt». Es dürfen darin weder Anlagen gebaut noch der Boden verändert werden. Mit dem absoluten Schutz verhinderten die Initianten den Bau des Waffenplatzes Rothenthurm SZ im dortigen Hochmoor und konnten dabei eine Interessenabwägung des Moorschutzes mit der Landesverteidigung ausschliessen.
Es geht nicht um den Schutz innerhalb eines Moores, sondern um die Abgrenzung einer Moorlandschaft.
Bundesrichter Thomas Merkli, der Präsident der zuständigen Abteilung, stellte gestern bereits am Anfang seiner Erläuterungen klar, es gehe nun nicht um den strikten Schutz innerhalb der Moore, sondern um die Abgrenzung der Moorlandschaft an der Grimsel. Damit sorgte das Mitglied der Grünen bei den Umweltschützern im Saal für die erste Ernüchterung.
Die Abgrenzung sei nicht mit dem Moorschutzartikel in der Verfassung definiert, hielt Merkli fest, sondern vom Gesetzgeber per Natur- und Heimatschutzgesetz dem Bundesrat übertragen worden. Dabei dürfe die Landesregierung auf konkrete Erweiterungsvorhaben Rücksicht nehmen. Es gehe auch um das Recht auf Eigentum, die Wirtschaftsfreiheit und das Verfassungsprinzip der Verhältnismässigkeit. Ermessensspielraum besteht

Der Bundesrat habe somit seinen Ermessensspielraum nicht überschritten, als er 2004 die südliche Grenze der Moorlandschaft Grimsel 27 Meter über dem heutigen Seespiegel des Grimselsees festlegte. Die beiden Biotope von nationaler Bedeutung und der Grossteil der anderen Moore würden damit nicht überflutet, sondern nur sechs kleinere Moore von regionaler Bedeutung und drei noch kleinere Moore.
Der Anteil der Moore im umstrittenen Gebietsstreifen betrage bloss 1,7 Prozent, «man kann also von einer Randzone sprechen», die keine zentralen Elemente enthalte, sagte Merkli.
Das Berner Verwaltungsgericht hatte es in seinem einstimmig gefällten Urteil Ende 2015 noch diametral anders gesehen. Gerade die kleinen und kleinsten Moore seien charakteristisch für die Rundhöcker-Moorlandschaft an der Grimsel.
Die vom Bundesrat festgelegte untere Höhenlinie sei willkürlich und im Gelände nicht sichtbar, vielmehr müsse das Gebiet auch aus ökologischen Gründen bis zum heutigen Seespiegel reichen. Vor dem Bau dieses Stausees habe die Moorlandschaft gar bis auf den Talgrund hinunter gereicht.
Schlagabtausch der Richter
Bundesrichter Peter Karlen stellte gestern denn auch einen Gegenantrag. Das Mitglied der SVP warf Merkli vor, ein politisches Urteil fällen zu wollen, um der Energiestrategie vor der Abstimmung vom 21. Mai Schub zu verleihen. Merkli entgegnete in harschem Ton, er verbitte sich diese Unterstellung, worauf Karlen sagte, er lasse sich in seiner Redefreiheit nicht gängeln.
Nach dreistündiger Beratung hiess das Bundesgericht die Beschwerde der KWO gegen das Urteil des Berner Verwaltungsgerichts mit 4 zu 1 Stimmen gut. Es wies die Sache zurück an die Vorinstanz. Nur der Anwalt der KWO lächelte kurz. Die Projektgegner blieben im Saal praktisch still, zu gross war die Konsternation. Ihrem weiteren Kampf steht entgegen, dass das Bundesgericht ein erhebliches öffentliches und privates Interesse am Ausbau der Wasserkraftnutzung anerkennt. Die Speicherkapazität des Grimselsees könne mit einem minimalen Landverbrauch um 75 Millionen Kubikmeter vergrössert werden. Das entspreche 20 Prozent des Ausbaupotenzials von Wasserkraftwerken in der Schweiz.
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