Grenzerfahrung im Flüchtlingslager
Noemi Harnickell und Jonathan Liechti verbrachten vier Wochen im nigerianischen Flüchtlingsdorf Gurku. Eine bereichernde Grenzerfahrung für die beiden jungen Berner. In einer Ausstellung berichten sie von ihren Beobachtungen.
Im Zentrum des nigerianischen Dorfes Gurku steht ein grosser Mangobaum, umgeben von Sitzbänken. Hier versammeln sich die einflussreichen Männer des Dorfes, sprechen miteinander, beobachten das Geschehen rundherum und warten auf Arbeit. An diesem Morgen jedoch mischen sich zwei «Batuuree», zwei Weisse ins Geschehen ein: Eine junge Bernerin sitzt am Wegrand und schreibt in ihren Notizblock, und ein junger Berner hält die Szene mit der Fotokamera fest.Das so entstandene Bild hängt heute im Kirchgemeindehaus Johannes in Bern.
Hier stellen die beiden Beobachtenden ihre Erlebnisse aus dem nigerianischen Flüchtlingsdorf Gurku aus: An weissen Wänden prangt eine Auswahl der rund 20 000 Fotografien, die der 25-jährige Jonathan Liechti mit in die Schweiz nahm. Und auf weissen Sitzkisten dazwischen liegt das Buch «By God's Grace», das die 24-jährige Noemi Harnickell verfasst hat.
Die neutrale Beobachterrolle
Vier Wochen verbrachten Liechti und Harnickell diesen Sommer in Gurku und dokumentierten das Leben der dortigen Flüchtlinge. «Wir führten etwa 60 intensive Gespräche mit den verschiedensten Menschen», sagt Liechti. Dabei hätten sie stets versucht, eine neutrale Beobachterrolle einzunehmen – nur einmal legte Harnickell selbst Hand an und half einer Familie bei der Feldarbeit: «Bereits nach einer Stunde in der brütenden Sonne war ich schweissgebadet.»
Obwohl es für Liechti bereits der zweite Besuch in Nigeria war – letzten Herbst reiste er erstmals für drei Wochen nach Afrika –, sprechen beide Schweizer von einer Grenzerfahrung: Das Leben der Dorfbewohner wird von Hunger und Armut beherrscht. «Ganz anders als die Standards, die wir uns in der Schweiz gewöhnt sind», so Liechti.
Offen und grosszügig
Nicht nur die Gegenwart prägt die Menschen, sondern auch die Vergangenheit: Die meisten von ihnen gelangten nach Gurku, als sie vor der Terrormiliz Boko Haram flüchteten (siehe Kasten). Baba Musa ist einer der Menschen, die Liechti und Harnickell während ihrem Besuch kennenlernten und in ihrem Buch porträtieren: Der 57-Jährige wohnt mit drei seiner insgesamt acht Kindern in Gurku. Die Familie konnten ihr Dorf noch vor dem Angriff von Boko Haram verlassen, liess dabei aber ihr wohlhabendes Leben zurück. Hinzu kam, dass Musas Frau vor einem Jahr an Diabetes starb – die Behandlung der Krankheit kostete die Familie ihr ganzes Geld.
Trotz all diesen Schicksalsschlägen ist Baba Musa ein herzensguter Mensch, erzählt Harnickell: «Obwohl er und seine Söhne fast nichts mehr zu essen hatte, schenkte er uns zum Fest des Fastenbrechens ein geschlachtetes Huhn – also einen seiner wertvollsten Besitze.» Baba Musa sei nur eines von vielen Beispielen, die zeigen, wie grosszügig und offen die Dorfbewohner sind. So hilft man sich etwa auch stets gegenseitig.
Eine Plattform bieten
Gurku ist ein junges Dorf: Es wurde 2014 gegründet, als die Gewalttaten von Boko Haram ihren Höhepunkt erreichten. Aus dieser Situation heraus entschloss sich Markus Gamache, ein Angestellter der Kirche für Geschwister – eine der grössten evangelischen Kirchen in Nigeria –, ein Stück Land zu kaufen und dort ein Flüchtlingsdorf zu errichten. Obwohl die Bewohner Gurkus nach wie vor stark auf die Unterstützung von Hilfsorganisationen angewiesen sind, ist das langfristige Ziel des Dorfes, dass es sich irgendwann selbst versorgen kann.
«Ich habe mehrfach von Gurku gelesen und war sehr beeindruckt von der Idee dahinter. Irgendwann wollte ich mich selbst für das Projekt engagieren und den Menschen eine Plattform bieten», erklärt Liechti. Die Reise haben er und Harnickell selbst bezahlt, die Ausstellung hingegen wird von der Kirchgemeinde Johannes sowie durch deren Theatergruppe finanziert, der sie ebenfalls angehören.
Alle zwei Jahre erarbeitet die Gruppe ein Stück und bringt dieses auf die Bühne. Auch dieses Jahr ist es wieder so weit; mit dem Flüchtlingsdorf in Nigeria hat die Aufführung «Lied einer neuen Welt» aber wenig zu tun – nur die Kollekte kommt Gurku zugute.
Ausstellung und Theater noch bis 12. November im Kirchgemeindehaus Johannes. Mehr Infos unter www.theaterensemble.ch
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