Götterdämmerung
Die blutarmen neuen Alben von Gotthard und Krokus zeigen, wie sehr der Hardrock in der Krise steckt.

Elefantenhochzeit im Rock-Business: Die beiden grössten Schweizer Rockbands, Krokus und Gotthard, fusionieren – wenigstens für zwei Konzerte. Anfang März kommen die Konkurrenten zum ersten Mal überhaupt auf einer Bühne zusammen. Und preisen sich standesgemäss als «Rock Monsters of Switzerland» an. Die Frage ist nur: Wird es wirklich «Rock»? Oder bekommen wir eher «Monsters» zu sehen? Das neue Album von Gotthard schürt Zweifel an der Entschlossenheit der Tessiner Band: Es kündigt einen sanften Abschied vom Hardrock an. Nicht, dass «Silver» nicht auch krachen und kratzen würde – der Track «Electrified» geht ab wie eine frisierte Mähmaschine, «Everything Inside» bebt mit mindestens Grad 9 auf der Richterskala. Aber das Album donnert nicht durch. Mehr als die Hälfte der neuen Songs kann nicht der reinen Lehre zugerechnet werden. Dafür gibt es zarten Folk, akustische Gitarren, sinfonische Streicher, harmonische Männerchöre und Klavier. Klingt wie vegane Chiliwürstchen. Melodien sind zwar nichts Neues für Gotthard. Schon Ende der Neunzigerjahre durchlebte die Band eine poppige Phase, die sie dank der Kuschelrockhymne «Heaven» zum Schweizer Exportschlager machte. Doch jetzt gehen die schön gesungenen Uh-Uhs und die parfümierten Geigen nicht unter die Haut. Denn es fehlt der Band das gewisse Etwas, das sie über die Heavy-Szene hinaus auch für den Mainstream attraktiv machte: Steve Lee.
Tod von Sänger Steve Lee riss eine tiefe Lücke
Der Tod des charismatischen Sängers riss 2010 eine tiefe Lücke in die Band. Sein Nachfolger Nic Maeder ist stimmlich zwar tadellos, doch geht ihm der Funke Genialität – das leicht irre Zittern in der Stimme – ab, der Steve Lee zu einer Schweizer Rocklegende machte. Dass Gotthard trotzdem ihre letzten beiden Alben «Firebirth» und «Bang!» auf Platz 1 der Hitparade platzieren konnte, ist Leo Leoni zu verdanken, der die Band musikalisch bei der Stange hält. Gerade weil der herausragende Gitarrist und Songschreiber immer wieder ein sicheres Händchen beweist, ist sein Entscheid, den klassischen Hardrock in Richtung eines verwässerten Potpourris zu verlassen, ernst zu nehmen. Denn er kann nur eines bedeuten: Harte Riffs allein garantieren keinen Erfolg mehr.

Wie um das Gegenteil zu beweisen, fährt die andere, früher noch erfolgreichere Schweizer Rockband Krokus einen fadengeraden Kurs: Das neue Album «Big Rocks» feiert ein Best-of aus fünfzig Jahren internationalem Hardrock ab. Mit stoischer Beharrlichkeit raffelt die Band unverwüstliche Gassenhauer von «Wild Thing» über «Whole Lotta Love» bis zu «Born to Be Wild» herunter. Und beweist damit nur, wie entwicklungsunfähig und verknöchert das Genre geworden ist. Hardrock als Denkmalpflege? Das passt schlecht zusammen.
Letztes Konzert von Black Sabbath
Zwar haben die Rolling Stones kürzlich gezeigt, dass ein Coveralbum durchaus überzeugend sein kann. Aber ihr «Blue & Lonesome» war eben eine echte Entdeckung von alten Blues-Perlen, kein Lederjackenmuseum. Das Krokus-Album hingegen klingt wie eine Jukebox auf Autopilot. Nach drei Songs hat man genug. Das neue Jahr, das sich mit den neuen Alben von Gotthard und Krokus so vielversprechend angekündigt hatte, beginnt für die Schweizer Rockszene also enttäuschend. Kleiner Trost: Es sieht für den Rock auf der ganzen Welt nicht besser aus. Am 4. Februar gibt die britische Pionierband Black Sabbath ihr allerletztes Konzert. Dann löst sich die Band um OzzyOsbourne, die vor bald fünfzig Jahren den Heavy Metal erfand, auf. Und reiht sich in die Reihe müder Rockstars ein, die die internationale Szene zunehmend angeschlagen aussehen lassen: Lemmy Kilmister ist tot, Iggy Pop mag nicht mehr, und U2 schieben die Veröffentlichung ihres Albums «Songs of Experience» immer weiter hinaus. Der Rockmusik, scheint es, ist auch schon ganz schlecht. Totgesagt wurde der Rock'n'Roll schon oft. Vergeblich. Sonst wären tagelange Hammer-Festivals und gigantische Stadionkonzerte, wo all die unverwüstlichen Grössen von AC/DC bis Guns n' Roses (7. Juni im Zürcher Letzigrund) auftreten, nicht so populär. Aber alt ist er geworden. Dass Axl Rose letztes Jahr bei AC/DC aushelfen musste, ist zwar rührend, täuscht aber nicht darüber hinweg, dass Angus Young auch nicht mehr so richtig elastisch herumhüpft.
Die besten Alben immer noch von Veteranen
Das Schlimmste: Es fehlt dem Genre an Nachwuchs. Die besten Rockalben kommen immer noch von Veteranen, von denen einige erstaunlich effektvoll dem Alterungsprozess trotzen und sich gegen den Trend als topfit erweisen. Metallica etwa, die mit «Hardwired to Self-Destruct» noch einmal richtig Vollgas gaben. Oder Radiohead, die seit dreissig Jahren unermüdlich nach dem immer neuen Sound suchen. In der Schweiz sieht es ähnlich aus: Wer kommt hinter Krokus und Gotthard? Eine grosse Plattenfirma grub kürzlich die Schweizer Kult-Heavy-Metal-Band Coroner wieder aus. Die grösste Schweizer Rockhoffnung, die Basler Band Navel, hat sich vor zwei Jahren aufgelöst. Für die Elefantenhochzeit anfang März spielt das keine Rolle. Denn das Hardrock-Publikum weiss, was es will, und das bekommt es auch. Kompromisslos servieren Gotthard & Co., wenn sie live spielen, Killerriff an Killerriff. Darin sind sie immer noch unschlagbar.
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Gotthard, «Silver» (MV); Krokus, «Big Rocks» (Sony) erscheint am 27. Januar. Für das gemeinsame Konzert am 3. März in Bern hat es noch Tickets.
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