
Diese Kolumne beginnt mit einem Eingeständnis: Ich leide an «ecological grief». So nennen Psychologen das Ohnmachtsgefühl angesichts der Klimakrise. Meine Trauer hat sicher keinen Krankheitswert. Menschen in Küstennähe, Klimawissenschaftlerinnen oder Umweltaktivisten sind viel unmittelbarer betroffen von dieser Trauer – oder von existenziellen Folgen der Krise. Aber die Bilder von schmelzenden Gletschern, ausgetrockneten Böden und lodernden Wäldern lassen auch mich oft nicht los.
Sicher ärgern sich einige schon nach diesen wenigen Zeilen: Larmoyante Geständnisse nützen niemandem etwas. Unseren Kindern sei ausserdem Mut zu machen, nicht den Teufel an die Wand zu malen.
Trauer allein hilft tatsächlich niemandem. Und Kinder sollten auch meiner Meinung nach mit dem Gefühl aufwachsen, ein offener Horizont warte auf sie. Das war das Gefühl meiner Jugend. Es gab zwar den Borkenkäfer, Tschernobyl und das Waldsterben. Aber man baute einen Katalysator im Familienwagen ein und versprach, irgendwann von der Kernenergie wegzukommen. Vor allem aber glaubte man, es finde sich für alles eine Lösung.
«Hoffnung ist naiv, wenn wir nicht begründet hoffen.»
Ich weiss, dass man auch mit Bezug auf die Klimakrise auf Lösungen hofft. Aber Hoffnung sei naiv, wenn wir nicht begründet hofften, schreibt der britische Intellektuelle Terry Eagleton. Aus Gründen zu hoffen bedeutet, die notwendigen Massnahmen zu ergreifen, dass sich die Sache zum Guten wenden kann. Man muss wohl leider bezweifeln, dass wir das gegenwärtig tun. Viel eher sitzen wir einem naiven Optimismus auf à la «wird schon gut kommen». Für Eagleton ist solcher Optimismus ein sicheres Indiz für eine «moralische Hornhautverkrümmung».
Vielleicht können andere einfach besser verdrängen? Das frage ich mich, wenn ich mit dem Velo auf Grünlicht warte, eingepfercht zwischen Geländewagen, die aussehen, als läge Zürich in den Alpen oder mitten im Dschungel. Oder wenn ich die Bilder der überfüllten Flughäfen sehe oder die Zahlen zum Fleischkonsum.
Aber ist Verdrängen eine Option? Ich stelle mir vor, wie imaginäre Enkelkinder mich fragen: «Grosi, was habt ihr euch denn dabei gedacht?» Ich würde nicht antworten wollen: «Ach, wisst ihr, wir haben das einfach verdrängt.» Ausserdem heisst Mündigkeit, für das eigene Tun und Lassen Verantwortung zu übernehmen.
Kann sein, dass viele längst resigniert haben: Was soll man schon machen? Die Klimakrise ist ja nur eine Katastrophe unter vielen. Dazu kommen marode Demokratien, der Krieg in der Ukraine, der zunehmende Hunger in Afrika. Wenn die Welt schon aus den Fugen ist, sollten wir nicht umso dankbarer unser Glück geniessen, statt Trübsal zu blasen?
«Eine aufs Ganze gesehene moralisch einwandfreie Existenz ist nicht möglich.»
Dankbar bin ich durchaus. Aber der Genuss bleibt bittersüss. Der Philosoph R. Jay Wallace schreibt in seinem Buch «The View From Here» von einer «Zwickmühle», in der viele von uns leben: Eine Menge von dem, was unser Leben interessant und angenehm macht, ist nur möglich, wenn wir in Kauf nehmen, dass andere unter den Folgen unseres Lebensstils leiden. Das Resultat ist eine tiefgreifende Ambivalenz: Wir lieben unseren ganzen Luxus, das Reisen, den Konsum, aber wir bedauern zutiefst, dass die Natur und Menschen in anderen Weltregionen einen so hohen Preis dafür bezahlen.
Manche reagieren auf diese Ambivalenz schulterzuckend: Sagte nicht schon Theodor W. Adorno, es gebe kein richtiges Leben im falschen? Nun mag zwar stimmen, dass eine aufs Ganze gesehene moralisch einwandfreie Existenz nicht möglich ist. Aber verplempern wir unsere Gestaltungsmöglichkeiten nicht mit zu kleiner Münze, wenn wir den Satz zur umfassenden Entschuldigung umdeuten: «So ist es halt, kann man nix machen!»?
Vielleicht soll damit gemeint sein, dass man durchaus etwas machen könnte – aber nur mithilfe politischer Lösungen. Aber die Politik sind in einer Demokratie ja auch wir alle. Die Frage verschwindet also nicht: wie umgehen mit dieser Ohnmacht und Trauer?
Ich meine die Frage aufrichtig, denn ich selbst habe darauf keine Antwort.
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Kolumne von Barbara Bleisch – Gibt es ein richtiges Leben im falschen?
Europa kocht. Wälder stehen in Flammen, das Mittelmeer wird zur warmen Brühe, ganze Ökosysteme drohen zu kippen. Wie findet man damit einen Umgang?