Gestatten, Ehrenbürger
Er erschuf ein 400 Seiten dickes Werk über Sumiswald, veröffentlichte einen historischen Fotoband und organisierte über 300 kulturelle Veranstaltungen. Jetzt wird Dieter Sigrist zum ersten Ehrenbürger der Gemeinde.

Dieter Sigrist ist kein Mensch, dem es bei solchen Ehren wirklich wohl ist. Er ist bescheiden, ein wenig eigenbrötlerisch und kein Mann von pathetischen Worten. Der Mittelpunkt ist seine Sache nicht. Und doch kann er sich inzwischen darüber freuen, nächsten Montag zum ersten Ehrenbürger in der Geschichte der Gemeinde Sumiswald zu werden. «Schliesslich habe ich hier Wurzeln geschlagen», sagt er. «Hier fühle ich mich daheim.»
Dieses Zuhause könnte passender nicht liegen für einen, der sich mit der Geschichte dieser Gemeinde so intensiv auseinandergesetzt hat. Es liegt im ersten Stock eines alten Bauernhauses zwischen den Gasthöfen Kreuz und Bären, im historischen Dorfkern von Sumiswald. Ein Ort, wo die Zeit stehen geblieben scheint.
Die Werkstätte
Und auch sein Arbeitszimmer sieht genau so aus, wie man sich den Ort des Schaffens von einem vorstellt, der Berge an Material aus Keksdosen, Mottenkisten und Archiven zusammensucht, um sie für spätere Generationen zwischen zwei Buchdeckel zu bringen. Die Regale sind aufgefüllt mit CDs und Schallplatten, mit Büchern, Ordnern und Katalogen. Auf dem Schreibtisch stapeln sich Bildbände und in spitzer, schöner Handschrift beschriftete Hefte. Links leuchtet ein wenig anachronistisch ein Computer. Alles ist ordentlich, ohne pedantisch zu wirken. Alles wirkt ein wenig chaotisch, ohne unordentlich zu sein.
Hier sind sie entstanden, die Werke, die ihm nun jene Auszeichnung einbringen, die ihm nicht ganz geheuer ist. Zwei Bücher sind es. Die «Streiflichter», ein Wälzer, 440 Seiten dick, mit 400 Illustrationen versehen, der schier alles über die Lokal-, die Siedlungs-, ja über die Entstehungsgeschichte des Dorfes beinhaltet und zum offiziellen Gemeindebuch geworden ist. Seine letzte Arbeit ist ein 200-seitiger Fotoband mit dem Titel «Sumiswald in alten Ansichten».

Die Rätsel in den Bildern
Wenn Dieter Sigrist durch sein jüngstes Werk blättert, sieht er nicht einfach Bilder, sondern Geschichten. Bei einem verweilt er kurz. «Das ist doch irrsinnig schön», sagt er. Es ist auf Seite 55. Eine Aufnahme aus dem Jahr 1920. Zwei junge Frauen stehen auf der Marktgasse, zwischen ihnen ein Fahrrad, im Hintergrund sind die damalige Sattlerei Brand, der Gasthof Kreuz und ein Gartenhäuschen erkennbar. Dieter Sigrist sieht die nicht geteerte Strasse, die Ernsthaftigkeit in den Gesichtern und ein Rätsel, das er bis heute nicht gelöst hat: das Gartenhäuschen. Wie lange stand es da? Wann kam es weg? Was Dieter Sigrist interessiert, ist die Veränderung.
Es sei dieses Gefühl, wenn er durch Sumiswald flaniere und plötzlich die alten Bilder in seinem Kopf aufstiegen, das er so liebe. So, als würde er den Wandel der Zeit buchstäblich am eigenen Leib spüren. «Nein, das hat nichts mit Nostalgie zu tun», sagt Sigrist. Er lasse sich zwar gern zurückversetzen, aber nichts sei ihm ferner, als diese Zeiten verklären oder werten zu wollen.
Eine ganze Menge Zeit ist auch an Dieter Sigrist bereits vorübergegangen. Heute ist er 63 Jahre alt. Seit mehr als 40 Jahren lebt er nun in Sumiswald. Geboren im solothurnischen Balsthal, wächst er in Ittigen auf. Doch bereits nach dem Lehrerseminar verschlägt es ihn 1975 dorthin, wo er sein ganzes weiteres Leben bleiben wird. Dadurch, dass er sich jahrelang in die Geschichte des Dorfes hineingegraben habe, sei er mit dieser Gegend verwachsen, sagt er. Sigrist blieb, unterbrochen von längeren Reisen mit seiner Frau Silvia und den Töchtern Anja und Karin, bis 2014 Primarlehrer in Sumiswald. Seither ist er pensioniert.
Kultur ins Dorf geholt
Die Lust, sich in die Vergangenheit hineinzuwühlen, begann mit dem zweiten Grund, weshalb Sigrist jetzt zum Ehrenbürger wird: die «Chlyni Bühni Sumiswald». Eine 1982 von ihm und seiner Frau ins Leben gerufene Veranstaltungsreihe, die seither die kulturelle Szene im Dorf massgeblich prägt. Mehr als 300 Konzerte, Stücke, Vorträge und Filmvorführungen haben die beiden durchgeführt und auch Grössen wie Toni Vescoli, Stiller Has und den Schotten Donovan nach Sumiswald geholt. «Unsere Töchter waren damals so klein, dass wir keine Zeit mehr fanden, auszugehen», sagt Sigrist. «So holten wir die Kultur halt zu uns.»
Neben den erwähnten Anlässen organisierten Silvia und Dieter Sigrist regelmässig einen Flohmarkt. Und da eben trugen die Leute aus dem Dorf Bücher, Bilder und Erinnerungsstücke heran. «Das Problem war, dass all diese Geschichten in hundert verschiedenen, oft schwer zugänglichen Büchern versteckt waren», sagt Sigrist. «Ich wollte das alles an einem Ort zusammenfassen.»
1996 begann er mit der Arbeit an den «Streiflichtern». Es dauerte zehn Jahre, bis er sein Werk, mit finanzieller Unterstützung der Gemeinde, vollenden konnte. «Ich bin kein Chronist, kein Wissenschaftler. Ich bin lieber niemandem etwas schuldig», sagt er. «Ich habe die Gemeindevertreter angefragt, ob ich das Buch machen könne, und sie waren begeistert.»
Auch wenn es seiner Frau Silvia manchmal zwar nicht «zu», aber doch «sehr viel wird» mit seiner Lust zu stöbern und zu entdecken, das nächste Projekt hat seinen Anfang schon genommen: Die Schriften über Sumiswald von Pfarrer und Historiker Rudolf Fetscherin haben es Sigrist angetan. Was er damit genau vorhat, wird die Zukunft zeigen. Vorher aber wird er nächsten Montag an der Gemeindeversammlung erst einmal selber Teil der offiziellen Sumiswalder Dorfgeschichte.
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