Tödlicher Streit in Lengnau«Ich wollte, dass er wieder aufsteht – aber das tat er nicht»
Der erste Prozesstag zur Tötung in Lengnau war emotional: Der Beschuldigte gestand und zeigte Reue, spielte jedoch die Auseinandersetzung herunter.

Diese Tat hielt vor zwei Jahren Biel in Atem: Erst wurde in einer Wohnung am Chasseralweg in Lengnau die Leiche eines jungen Mannes gefunden, kurz darauf fielen in der Bieler Innenstadt Schüsse. Und prompt lag der Verdacht eines Terroranschlags auf dem Tisch.
Am Donnerstag startete nun der Prozess gegen den Mann, der in besagter Wohnung in Lengnau lebte und den Grosseinsatz in der Bieler Innenstadt ausgelöst hat. Mit einem Terroranschlag hat das aber nichts zu tun. Es ist ein Drama zweier ehemals guter Freunde, bei denen wegen der Drogen alles aus dem Ruder lief.
Bruder klagt an
Als am Donnerstagvormittag der Bruder des Verstorbenen als Privatkläger vor dem Regionalgericht Berner Jura-Seeland in den Zeugenstand trat, wurde es still im Saal. Dem Gericht sei bewusst, dass es ihm nicht leicht falle, hier noch einmal eine Aussage zu machen, so Gerichtspräsident Markus Gross. Doch der Bruder wollte aussagen, ohne Anwalt, stellvertretend für seine Familie.
Er habe ein enges Verhältnis zu seinem Bruder gehabt, sagte er mit zittriger Stimme. «Er war ein stolzer Mensch, hilfsbereit und positiv eingestellt.» Auch den Angeklagten habe er lange vor der Tat schon einmal getroffen. Wie er den mutmasslichen Täter denn beschreiben würde, fragte Gross. «Mein Eindruck von ihm war durchaus positiv. Er ist ein intelligenter Mann», so der Bruder des Verstorbenen. Trotzdem habe er ihn immer als schlechten Umgang für seinen Bruder gesehen, aufgrund der Delikte, die der mutmassliche Täter in der Vergangenheit begangen hat: Körperverletzung, Drogenhandel und allem voran der Kokainkonsum.
Als er und seine Familie kurz nach der Tat die Vermisstenanzeige aufgegeben hatten, hätte er sich nicht vorstellen können, dass der heute Angeklagte für den Tod seines Bruders verantwortlich sein könnte. Vielmehr rechneten er und seine Familie damit, dass den beiden, also dem mutmasslichen Täter und dem Opfer, gemeinsam etwas zugestossen sein könnte, allenfalls in Zusammenhang mit dem Drogenhandel. Umso grösser sei der Schock gewesen, als klar wurde, dass der heute 54-jährige Mann schuld am Tod des damals 38-Jährigen ist.
Beschuldigter zeigt Reue
«Wir waren mehr als gute Freunde», sagte der Beschuldigte vor dem Regionalgericht über sein Verhältnis zum Verstorbenen. Er leugnet jedoch nicht, für den Tod des damals 38-Jährigen verantwortlich zu sein. Zwei Tage bevor die Leiche in der Wohnung des Beschuldigten in Lengnau gefunden worden ist, sei es in seiner Wohnung zu einem Streit gekommen, erzählt er.
Hintergrund war ein misslungener Drogendeal, in den das Opfer involviert gewesen sei. «Er war sehr wütend», so der Beschuldigte. Denn er sei um eine grosse Menge Cannabis betrogen worden. Mal war die Rede von einem halben Kilogramm, dann von zwei Kilogramm. Genug jedenfalls, um es im Portemonnaie zu spüren, wenn die Rechnung offen bleibt.

Das Opfer habe denjenigen, der ihn betrogen haben soll, entführen wollen, erklärte der Beschuldigte. «Und er wollte, dass ich ihm dabei helfe. Doch das kam für mich nicht infrage.» Deshalb sei es zu einer Schlägerei gekommen. Eine Faust ins Gesicht, eine Kopfnuss zurück, danach muss der Beschuldigte mehrfach und mit einem Messer in der Hand auf das Opfer eingeschlagen haben. Dies zumindest lassen die über 50 Verletzungen vermuten, die das Opfer an Kopf, Hals, Körper und Extremitäten hatte.
Vor Gericht bagatellisierte der Beschuldigte den Hergang: Er habe einmal auf das Opfer eingeschlagen. Danach sei es in einer Schlägerei ausgeartet, die jedoch nicht lange gedauert habe. Gerichtspräsident Markus Gross bohrte jedoch nach. «Mich würde ja schon interessieren, wie bei einer solch kurzen Schlägerei so viele Verletzungen entstehen können.» Darauf hatte der Angeklagte keine Antwort. Auch darauf nicht, weshalb bei ihm selbst lediglich ein paar leichte Verletzungen an den Händen festgestellt worden seien.
Am Ende hätten jedenfalls beide auf dem Boden gelegen. Als der Beschuldigte wieder aufgestanden sei, habe er gemerkt, dass sich das Opfer nicht mehr rührt. «Ich wollte, dass er wieder aufsteht – aber das tat er nicht», sagt er, und beginnt, zu weinen.
Er habe gewollt, dass die Polizei schiesst
Was danach geschah, sei ein Akt der Verzweiflung gewesen, erzählte der Beschuldigte. Statt den Notruf zu alarmieren, habe er im Schockzustand den leblosen Körper im Schlafzimmer versteckt und die Wohnung verlassen. Am Morgen danach sei er zurückgekehrt, um seine Tabletten zu holen. Die Leiche hat er weiterhin dort liegen gelassen, während er die Zeit bei Bekanntschaften von ihm in Biel verbracht haben soll.
Erst drei Tage später wurde der Beschuldigte in der Bieler Innenstadt von der Polizei gefasst. Es kam zu einem Grosseinsatz. Mit einem Messer in der Tasche war der Beschuldigte im Zentrum unterwegs. Sein Ziel: «Ich wollte mich umbringen.» Er habe eine Tablette nach der anderen geschluckt und habe geplant, sich die Pulsadern aufschneiden wollen. Als er plötzlich von der Polizei umstellt war und sah, dass einer der Polizisten mit einer Waffe auf ihn zielte, habe er das Messer gezückt, in der Hoffnung, der Polizist würde ihn erschiessen. Dieser schoss – jedoch ins Bein.
Vieles davon, was der Beschuldigte vor Gericht erzählt, stimmt mit der Anklageschrift und seinen vorherigen Aussagen überein. Sein Handeln begründet er auch damit, dass er drogenabhängig gewesen sei. Er habe Kokain geraucht, sei nicht Herr seiner Sinne gewesen. Aber manche seiner Aussagen vor Gericht bröckelten: So sagte er etwa bisher jeweils aus, vor der Tat Kokain geraucht zu haben und dementsprechend high gewesen zu sein. Vor Gericht hingegen macht er geltend, es sei an besagtem Tag noch nicht zum Konsum gekommen.
Und was den Anklagepunkt angeht, er sei nach der Tat noch in der Wohnung des Opfers gewesen und habe dort Geld und Cannabis mitgehen lassen, weist er alle Schuld von sich. Das, obwohl in besagter Wohnung seine Blutspuren festgestellt worden sind.
Die Verhandlung wird am Freitag fortgesetzt. Angeklagt ist der 54-Jährige wegen vorsätzlicher Tötung, Diebstahl, Hausfriedensbruch, Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz sowie gegen das Strassenverkehrsgesetz. Das Urteil wird voraussichtlich am Dienstag gesprochen. Für den gebürtigen Nigerianer geht es auch um einen Landesverweis.
Fehler gefunden?Jetzt melden.