Geheimer Bericht belastet Raiffeisen-Chef Patrik Gisel
Die Raiffeisen-Führung informierte heute über den Rücktritt ihres Präsidenten Johannes Rüegg-Stürm. Derweil braut sich neues Ungemach über Gruppenchef Gisel zusammen.

Aus dem bislang unter Verschluss gehaltenen Bericht des Wirtschaftsprüfers Deloitte über die Vorgänge bei Raiffeisen vor und nach der mehrheitlichen Übernahme des Private-Equity-Unternehmens Investnet sind erste Auszüge publik geworden. Diese Passagen, die heute vom Finanz-Blog «Inside Paradeplatz» veröffentlicht wurden, lassen Raiffeisen-Chef Patrik Gisel in keinem guten Licht erscheinen. Sie erwecken den Eindruck, als ob sich Gisel 2012 – damals als Stellvertreter des Raiffeisen-Chefs Pierin Vincenz – bei der Übernahme von Investnet hat einspannen lassen, ohne die Rolle Vincenz' näher zu hinterfragen.
Laut dem Deloitte-Bericht erhielt Vincenz Ende 2011 die Information, dass sein Intimus Beat Stocker eine Beteiligung an Investnet hielt. Die persönliche Nähe zu Stocker machte es für Vincenz unmöglich, weiter über den Einstieg von Raiffeisen bei Investnet zu verhandeln. Also übergab der Raiffeisen-Chef das Dossier an Gisel. «Inside Paradeplatz» zitiert aus dem Deloitte-Bericht, man habe «keinen Schriftverkehr gefunden, in dem sich Patrik Gisel über den Grund für den Wechsel (des Investnet-Dossiers zum ihm, die Redaktion) und die Rolle von Beat Stocker erkundigte». Gisel tat, was Vincenz ihm auftrug, und führte die Verhandlungen über die Übernahme von Investnet zum Abschluss.
Bemühen um Rückendeckung für Gisel
Wie bereits vor einer Woche anlässlich der Bilanzmedienkonferenz betonte Gisel auch an der heutigen Medienkonferenz, er habe zu keinem Zeitpunkt etwas über illegale Vorgänge rund um Investnet geahnt. Von Pascal Gantenbein, der den Raiffeisen-Verwaltungsrat nun interimistisch präsidiert, erhielt Gisel Rückendeckung: Es habe 2011 «keine Anhaltspunkte» gegeben, wer hinter der Investnet-Transaktion stecke.
Der Deloitte-Bericht lässt es hingegen als plausibel erscheinen, dass Gisel von Beat Stockers Engagement bei Investnet gewusst haben dürfte – und damit auch über den Interessenkonflikt von Vincenz im Bilde war. Gisel mochte sich beim heutigen Medienauftritt nicht zum Deloitte-Bericht äussern.
Zu seinem am Donnerstagabend bekannt gewordenen Rücktritt sagte Rüegg-Stürm, die laufende Untersuchung der Finanzmarktaufsicht (Finma) beeinträchtige die Integrität seiner Person in keiner Weise. Mit dem Schritt wolle er dazu beitragen, dass eine von der Vergangenheit unbelastete Person an der Spitze der Genossenschaftsbank die Aufklärung vorantreiben könne. Nach seiner kurzen Erklärung verliess Rüegg-Stürm den Raum. Journalisten, die sich beim Ex-Präsidenten um Nachfragen bemühten, wurden von dessen Entourage abgedrängt.
Millionenkauf ohne vorgängige vertiefte Prüfung
Der Bericht von Deloitte vom Oktober 2017, den die Finanzmarktaufsicht (Finma) in Auftrag gegeben hatte, verweist des Weiteren auf gewisse Besonderheiten beim Kaufabschluss von Investnet im März 2012. Diesem zugrunde liegt ein Aktientauschvertrag, der eine 60-prozentige Beteiligung von Raiffeisen an dem Private-Equity-Vehikel beinhaltete, einschliesslich einer späteren Übernahme der restlichen 40 Prozent. Überraschend mutet an, dass «die Parteien auf eine gegenseitige Bewertung verzichtet» hätten, und es sei «auch keine Due Diligence seitens der Parteien» erfolgt, wie «Inside Paradeplatz» aus dem Deloitte-Bericht zitiert. Raiffeisen hatte sich den Einstieg bei Investnet immerhin 107 Millionen Franken kosten lassen.
Die böse Überraschung folgte schon bald: Wie die Raiffeisen-Revisorin PricewaterhouseCoopers im Bericht zur Jahresrechnung 2012 der Bank festhielt, war Investnet überschuldet. Um deren Insolvenz abzuwenden, war eine Überbrückungsfinanzierung von 550'000 Franken erforderlich.
«Unsinnige Zahlen»
Sodann legt der Deloitte-Bericht den Finger auf die im März 2015 erfolgte Überarbeitung des Aktionärsbindungsvertrags zwischen Raiffeisen und den Minderheitsaktionären von Investnet. Sie ermöglichte für Letztere einen vorzeitigen Ausstieg, war aber innerhalb von Raiffeisen höchst umstritten. Gisel, der damals bereits als Nachfolger von Vincenz als Raiffeisen-Chef bestimmt war, setzte sich über die Bedenken hinweg und unterschrieb die Vertragsänderung zusammen mit dem damaligen Raiffeisen-Finanzchef Marcel Zoller. Zu dieser Änderung heisst es im Deloitte-Bericht laut «Inside Paradeplatz», sie enthalte «für die Minderheitsaktionäre günstige Klauseln». Ferner moniert Deloitte, dass die Bewertungsformel, welche die Zahlungen an die Minderheitsaktionäre fixiert, «grossen Interpretationsspielraum» zulasse.
Dagegen sperrte sich etwa Markus Lüthi, ein Mitarbeiter von Finanzchef Zoller. Er hatte gemäss Deloitte-Bericht bereits im März 2014 – also ein Jahr vor der Überarbeitung des Aktionärsbindungsvertrags – in einem Mail an Gisel darauf hingewiesen, dass schon die damalige Bewertungsmethode im ursprünglichen Aktionärsbindungsvertrag «unsinnige Zahlen» generiere. Gleichwohl sei die Vertragsänderung «mit der problematischen Berechnungsformel» am 3. März 2015 von Gisel und Zoller unterzeichnet worden, wie die Deloitte-Autoren festhalten.
Diese zumindest für Aussenstehende schwer nachvollziehbaren Vorkommnisse, wie sie im Bericht von Deloitte aufgezeigt werden, haben die Finma im Oktober 2017 bewogen, ein sogenanntes Enforcement-Verfahren gegen Raiffeisen und gegen ihren früheren Chef Pierin Vincenz anzustrengen. Letzteres wurde eingestellt nach der Zusage von Vincenz, keine Führungsaufgaben mehr im Finma-kontrollierten Finanzsektor auszuüben. Das Verfahren gegen Raiffeisen läuft noch.
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