Vereinbarkeit von Beruf und FamilieFührt der Kanton Bern eine Elternzeit ein?
Der Grosse Rat debattiert über eine Elternzeit von 24 Wochen. Eine ähnliche Initiative wurde im Kanton Zürich vom Stimmvolk verworfen.

Es wäre eine familienpolitische Revolution, und das im behäbigen Bern. Diese Woche brütet der Grosse Rat erstmals über die Elternzeit-Initiative, die die SP im April 2021 eingereicht hat. Würde das Anliegen durchkommen, hätten alle frischgebackenen Eltern im Kanton Bern Anrecht auf 24 Wochen Elternzeit – zusätzlich zum bereits geltenden Mutter- und Vaterschaftsurlaub. Davon wären sechs Wochen für die Mutter reserviert, sechs für den Vater, und zwölf könnten die beiden unter sich frei aufteilen.
Der Berner Vorstoss ist nicht der erste Versuch der SP, eine kantonale Elternzeit einzuführen. Bereits in Zürich hat die Partei eine Initiative lanciert, damals vorgeschlagen waren 18 Wochen. Das Stimmvolk hat dem Anliegen aber im Mai mit einer Zweidrittelmehrheit eine klare Absage erteilt. Gedeutet hat Regierungsrat Mario Fehr (parteilos) das Resultat primär so, dass ein solch grosses Thema einheitlich national geregelt werden müsse.
Kritikpunkt 1: Kantonale Lösung
Ähnlich argumentiert nun auch der Berner Regierungsrat. Während er anerkennt, dass eine Elternzeit positive Auswirkungen auf die Familie und die Gleichstellung habe, brauche es eine nationale Lösung, so die Kantonsregierung in einer Mitteilung. Auch die vorberatende Gesundheits- und Sozialkommission lehnt die kantonale Elternzeit ab.
«Eine Elternzeit in einem einzigen Kanton einzuführen, würde zu nicht lösbaren praktischen Problemen führen und auch Ungerechtigkeiten schaffen», ergänzt Grossrat Christoph Zimmerli (FDP). Er führt ein fiktives Beispiel an: Eine teilzeitbeschäftigte Mutter arbeite einerseits in einem Spital im Oberaargau und andererseits in Solothurn, der Vater in Bern in der Bundesverwaltung. Was würde jetzt für wen gelten?
«Schon die AHV und die Mutterschaftsversicherung wurden zuerst von fortschrittlichen Kantonen eingeführt, bevor sich der Bund hat überzeugen lassen.»
Keinerlei Bedenken hat hingegen David Stampfli (SP), Grossrat und Mitglied des Initiativkomitees. Weil die Anstrengungen für eine nationale Initiative bisher nicht gefruchtet hätten, mache die Partei nun in den Kantonen vorwärts – die Elternzeit könne auch später national geregelt werden. «Schon die AHV und das Frauenstimmrecht wurden zuerst von fortschrittlichen Kantonen eingeführt, bevor sich der Bund hat überzeugen lassen», fügt Stampfli an.
Doch warum lanciert die SP überhaupt eine kantonale statt eine nationale Initiative? Ursprünglich plante die SP genau dies und holte dafür weitere Parteien, zivilgesellschaftliche Organisationen und Gewerkschaften ins Boot. Die Allianz konnte sich aber nicht auf ein Modell einigen, weswegen die Verhandlungen vor über einem Jahr platzten.
Kritikpunkt 2: Die Kosten
Nicht nur der kantonale Alleingang, sondern auch die Kosten sorgen für Kritik. Der Regierungsrat schätzt die jährlichen Bruttokosten einer Elternzeit grob auf 200 Millionen Franken, was die SP bestreitet: Es sei weder klar, wie der resultierende Gesetzesartikel genau lauten würde, noch, wie viele Personen die Elternzeit beziehen würden, so David Stampfli. Der Initiativtext schlägt vor, die anfallenden Kosten zwischen Kanton, Arbeitgebenden und -nehmenden aufzuteilen.

Uneins sind sich die Parteien, ob die Kosten wieder hereingeholt würden. Nach der Einführung einer Elternzeit arbeiten Frauen tendenziell mehr und in grösseren Pensen – das führt dazu, dass die Steuereinnahmen steigen und die Sozialausgaben sinken. Es gibt Modellrechnungen aus der EU, wonach eine Erhöhung der Frauenerwerbstätigkeit um ein Prozent bereits genügt, um eine Elternzeit von 18 bis 20 Wochen zu kompensieren. «Der Fachkräftemangel hat nochmals zugenommen», sagt Stampfli. «Aktuell bleiben viele Mütter dem Arbeitsmarkt fern, weil die Vereinbarkeit von Beruf und Familie harzt.»
Der Regierungsrat hingegen glaubt, dass die Mehrkosten «nur teilweise» so zurück in die Kantonskasse gespült würden. «Bern gehört zu den wirtschaftlich schwächsten Kantonen der Schweiz mit den mitunter höchsten Steuerbelastungen und Schulden», argumentiert auch Zimmerli. «Weder der Kanton noch die KMU können sich das momentan leisten.»
«Kinderkriegen ist immer noch Privatsache.»
Etwas mehr Einigkeit ist bei der Frage spürbar, welcher gesellschaftliche Nutzen eine Elternzeit überhaupt hat. Studien aus Ländern, die bereits eine Elternzeit eingeführt haben, zeigen, dass sich Familien die Haushaltsaufgaben gerechter aufteilen und die Väter mehr Verantwortung übernehmen. Die Bindung zwischen den Vätern und den Kindern erstarkt, die Mütter und Babys sind gesünder.
Nicht nur die Kantonsregierung, sondern auch die Parteien zeigen sich – je nach Länge des Urlaubs – bis ins bürgerliche Lager hinein positiv. Im nationalen Parlament hat die FDP etwa für eine 16-wöchige Elternzeit plädiert, wobei diese die bestehende Mutterschaftszeit ersetzen würde. Klar abweisend reagiert hingegen auf Anfrage die SVP: «Kinderkriegen ist immer noch Privatsache», so Fraktionspräsidentin Barbara Josi.

Lehnt der Grosse Rat die Initiative ab, kommt die Vorlage voraussichtlich in der zweiten Hälfte des nächsten Jahres vors Volk. Die Walliserinnen und Walliser fahren dabei einen ähnlichen Zeitplan: Sie stimmen ebenfalls 2023 über eine neue Kantonsverfassung ab, in der eine Elternzeit explizit festgehalten ist.
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