Früher das Korn, heute der Pixel
Jeder ein Künstler. Im Internet scheint dieses Zitat von Joseph Beuys zu stimmen: Immer mehr Hobbyfotografen laden künstlerisch anspruchsvolle Digitalbilder hoch. Für den Experten Thomas Seelig sind diese aber nicht gleich Kunst.

Herr Seelig, benutzen Sie als Sammlungs- und Ausstellungskurator des Fotomuseums Winterthur Bildergalerien auf Online-Plattformen wie Facebook, um nach Kunst zu suchen? Thomas Seelig: Nein, ich suche dort keine Kunst. Fotokünstler haben andere Kanäle, um an Galeristen, Museen oder Sammler zu gelangen. Natürlich gibt es für Künstler mittlerweile professionelle Netzwerke, und Museen bieten inzwischen entsprechende Links an. Aber obwohl sehr viel gute Bilder im Umlauf sind, heisst es nicht automatisch, dass es plötzlich mehr Ausstellungsmöglichkeiten gibt. Es bleibt ein Nadelöhr, durch das nicht alles durchkommen kann.
Trotzdem schaffen immer mehr Hobbyfotografen mit den modernen Digitalkameras und Bildbearbeitungsprogrammen am PC aus banalen Partyfotos künstlerisch Anspruchsvolles. Man muss da unterscheiden zwischen künstlerischer Fotografie, hinter der eine Haltung, ein Kommentar zur Welt und ein künstlerisches Selbstverständnis steckt, und jenen Bildern, die, sagen wir «kunsthandwerklich» bearbeitet wurden. Technische Möglichkeiten erlauben es zwar jedem, gute Bilder zu machen, doch oft entsteht am Ende ein lebloses Bild.
Was meinen Sie mit «leblosem Bild»? Digital bearbeitete Bilder werden oft über die Massen geschärft, alles ist retouchiert, zu perfekt gemacht. Künstler hingegen greifen die modernen Medien auf und reflektieren sie. Im Januar präsentierte sich bei unserem öffentlichen Portfoliowochenende Plattform 09 zum Beispiel der junge Genfer Fotokünstler Adrien Missika. Er reist in ganz Europa herum und fotografiert modernistische Architektur – mit einer Handykamera, die lediglich eine Auflösung von 40 Kilobyte besitzt. Daraus entstehen kubistisch anmutende Bilder, die sich aus groben Pixeln zusammensetzen.
Dann kehren die Fotokünstler nicht in die Dunkelkammer zurück, um sich von Amateurfotografen abzugrenzen? Nein, wir sind ja bereits jenseits der digitalen Wende. In der Kunst wurden die neuen Medien schon vor 10 Jahren kommentiert. Früher analysierten Künstler das Bildkorn, welches jedem Bild zugrunde lag, heute ist es eben der Pixel. Martin Plueddemann, ebenfalls ein Gast unserer diesjährigen Plattform, fertigt zum Beispiel ein Postkarten-Set an. Es zeigt digitale «Anflüge» von Google Earth auf touristische Attraktionen. Er spielt also mit der klassischen Postkartenidee, jedoch aus digitaler Perspektive.
Ist es für die Betrachter nicht verwirrend, wenn sie nicht wissen, was Fotokunst ist und was gute Amateurfotografie? Man muss ja nicht immer gleich alles künstlerisch einordnen. Gute Bilder dürfen gefallen, auch wenn es eben Partyfotos im Internet sind. Aber uns im Museum interessiert nicht nur die künstlerische, sondern auch die soziologische Seite. Etwa der Einfluss, den Pass- oder Pressefotos auf unsere Wahrnehmung haben. Entsprechend ist es denkbar, dass sich das Fotomuseum Winterthur in Zukunft mit dem Phänomen der Handyfotos auseinandersetzt.
Wie sehen Sie die Fotokunst bei all den digitalen Entwicklungen in zehn Jahren? Digitalkameras mit immer besseren Auflösungen machen natürlich schärfere Aufnahmen, es gibt weniger Bildfehler und mehr Kontraste. Die Betrachter werden sich in zehn Jahren an diese neue Ästhetik gewöhnt haben.
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