Extinction Rebellion Freispruch für Klimaaktivisten in Neuenburg gefordert
Die Ausübung eines notstandsähnlichen Widerstandsrechts oder eine strafbare Besetzung einer Hauptverkehrsader: Nachdem in den Kantonen Waadt und Genf Klimaaktivisten bereits freigesprochen worden waren, wird das Urteil aus Neuenburg am 11. Juni verkündet.

In Neuenburg sind 15 Umweltaktivisten der Gruppierung Extinction Rebellion am Montag vor Gericht angehört worden. Den Angeklagten wird vorgeworfen, am 5. März 2020 eine der Hauptverkehrsadern der Stadt während 75 Minuten besetzt zu haben. Sie wehren sich gegen die per Strafbefehl verhängte Geldstrafe von 300 Franken.
Die Demonstranten seien überzeugt gewesen, dass ihre Aktion von der Polizei toleriert würde, sagte Michel Bise, einer der Anwälte der Aktivisten, vor dem Neuenburger Polizeigericht. «Die Polizei hat einen Fehler gemacht. Angesichts der gewaltlosen und friedlichen Demonstranten bevorzugten die Beamten den Dialog, was eine gute Sache ist, aber zu keinem Zeitpunkt befahlen sie den Aktivisten, den Protest aufzulösen, um strafrechtliche Konsequenzen zu vermeiden», sagte der Verteidiger.
Zudem sei die Verkehrsbehinderung minimal gewesen. Es sei keine Anzeige erstattet worden, auch nicht vom Busbetreiber. Er forderte einen Freispruch für seine Mandanten.
Der zweite Anwalt der Angeklagten, Benoît Fracheboud, argumentierte, dass angesichts der Klimakrise ein rechtfertigender Notstand bestehe. Im Strafgesetzbuch gibt es einen Artikel, der ein notstandsähnliches Widerstandsrecht vorsieht, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind.
Er verwies auch auf die Demonstrationsfreiheit, die durch die Neuenburger Verfassung und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) geschützt sei. «Eine Verurteilung ist nicht gerechtfertigt, wenn es minimale Störungen gibt, sagte der Anwalt. Die Geldstrafe sei deshalb unverhältnismässig.
«Dialog macht Demo nicht legal»
Staatsanwalt Marc Rémy entgegnete, dass er die «verständliche und lobenswerte» Motivation der Demonstranten bei der Festsetzung der Geldstrafe berücksichtigt habe. Dass die Polizei den Dialog mit den Aktivisten gesucht habe, mache eine Demonstration nicht legal.
Er erinnerte daran, dass es nicht die Polizei ist, die Genehmigungen für Demonstrationen erteilt. «Wenn alle geduldeten Demonstrationen legal wären, gäbe es keinen Grund, nach Genehmigungen zu fragen», fuhr der Staatsanwalt fort.
Nach seiner Ansicht können sich die Demonstranten auch nicht auf den rechtfertigenden Notstands berufen. «Die wichtigen Anliegen der Angeklagten erfordern staatliches Handeln und es gibt andere Mittel, um etwas zu bewirken», sagte Rémy.
«Unzulässige Verkehrsstörung»
Zudem hätten die Demonstranten bei der Aktion das falsche Ziel gewählt. «Sie haben Leute blockiert, die nicht viel tun können, und dies wird die Klimaerwärmung nicht beeinflussen», sagte der Staatsanwalt. Auch habe das Bundesgericht bereits entschieden, dass solche Aktionen, die den Strassenverkehr stören, nicht zulässig seien.
Ein am Einsatz beteiligter Polizist widersprach der Darstellung der Aktivisten, wonach die Beamten keine Warnungen ausgesprochen haben. Die Polizei habe sehr schnell erklärt, dass die Demonstration illegal sei und dass die Aktivisten angezeigt würden.
Das mit Spannung erwartete Urteil wird am 11. Juni um 9 Uhr verkündet. In den Kantonen Waadt und Genf waren im vergangenen Jahr Klimaaktivisten in mehreren Prozessen freigesprochen worden. Die Urteile erregten Aufsehen, insbesondere weil die Freisprüche damit begründet wurden, dass die Angeklagten aus der Motivation eines rechtfertigenden Notstandes gehandelt hätten. Mit zwei Fällen wird sich das Bundesgericht befassen müssen.
SDA
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