Frauen empört über Rentenbonus für Wehrpflichtige
Wer Militärdienst oder Zivilschutz geleistet hat, soll sich früher pensionieren lassen können: Die Idee von Walter Müller fällt bei der Frauenorganisation Alliance F durch.

Es ist im Bundeshaus derzeit en vogue, Pakete zu schnüren. Nach dem AHV-Steuer-Deal, den der Ständerat in der Sommersession durchgewinkt hat, steht die Verknüpfung der AHV mit einem sachfremden Thema erneut im Zentrum einer politischen Idee.
Wer seiner Dienstpflicht im Militär oder Zivilschutz nachkommt, soll ein Jahr früher in Rente gehen dürfen. Das fordert Walter Müller, wie gestern die «Zentralschweiz am Sonntag» und die «Ostschweiz am Sonntag» berichtet haben. Der St. Galler FDP-Nationalrat will damit einen Anreiz schaffen, die seit Jahren sinkende Zahl der Stellungspflichtigen wieder zu erhöhen, und so den Fortbestand der Armee sichern. Zudem möchte er so eine Erhöhung des Rentenalters mehrheitsfähig machen: von 64 auf 65 Jahre für Frauen und von 65 auf 66 Jahre für Männer. Müllers zweites Ziel lautet also: die AHV retten.
«Die Dienstpflicht der Männer soll als Dienst an der Allgemeinheit gutgeschrieben werden können, all die unbezahlte Care-Arbeit der Frauen nicht. Das ist unfair.»
Vom Rentenbonus profitieren würden, Stand heute, vor allem Männer. Von den rund 158'000 Personen der Schweizer Armee waren letztes Jahr 1152 Frauen, also weniger als 1 Prozent. Für die allermeisten Frauen würde das Rentenalter mit Müllers Vorschlag also auf 65 Jahre steigen, für einen guten Teil der Männer bliebe es dagegen bei 65. Unter linken Frauen sorgt Müllers Vorschlag denn auch für Empörung. «Die Dienstpflicht der Männer soll quasi als Dienst an der Allgemeinheit gutgeschrieben werden können, all die unbezahlte Care-Arbeit der Frauen aber nicht», sagt SP-Nationalrätin Priska Seiler Graf. «Das ist unfair.» Auch enthalte Müllers Vorschlag den Zivildienst nicht. Dabei leiste auch dieser einen wichtigen Beitrag für die Sicherheit der Schweiz. Seiler Graf stört sich zudem daran, dass der Vorschlag eine automatische Erhöhung des Rentenalters der Frauen bedinge, ohne garantierte Lohngleichheit. Da sei sie grundsätzlich dagegen.
Auch bei der Frauenorganisation Alliance F fällt die Idee eines AHV-Armee-Deals durch. Co-Präsidentin Kathrin Bertschy spricht von einem «weiteren unbrauchbaren Vorschlag auf dem Ideenbasar». «Es ist schon eine spezielle Art von Politik, alles und jedes miteinander verknüpfen zu wollen», sagt die Berner GLP-Nationalrätin. Müllers Vorschlag verstelle den Blick auf den Kern des Problems: Die meisten OECD-Länder hätten auf die gestiegene Lebenserwartung der Menschen reagiert und das Rentenalter angehoben.
Statt mit Verknüpfungen, wie sie Müller vorschlage, wieder neue Ungerechtigkeiten zu schaffen, sei es sinnvoller, die Erhöhung des Rentenalters mit einer mathematischen Formel an die Lebenserwartung zu koppeln, so Bertschy. «Die Frauen sind auch bereit, gleich lang wie die Männer zu arbeiten.» Das aber setze gleiche Löhne für gleiche Arbeit für Frauen und Männer voraus. Zudem müssten die Frauen auch in der zweiten Säule bessergestellt werden, indem der Koordinationsabzug nicht nur flexibilisiert, sondern ganz abgeschafft werde. «In diese Richtung muss die Debatte gehen», sagt Bertschy.
Bundesrat prüft Wehrpflicht für Frauen
Etwas positiver fallen die Reaktionen in bürgerlichen Frauenkreisen aus. «Der Dienst an der Allgemeinheit darf durchaus seinen Wert haben», sagt Müllers Parteikollegin Doris Fiala. Eine Benachteiligung der Frauen sieht die Zürcher Nationalrätin darin nicht zwingend. Sie verweist auf den Bundesrat, der das Verteidigungsdepartement 2017 beauftragt hat, die Wehrdienstpflicht für Frauen gemäss dem norwegischen Modell zu prüfen. In Norwegen sind Frauen und Männer stellungspflichtig, aber nur ein Teil von ihnen leistet persönlich Dienst. Ob sich diese Idee je durchsetzen wird, ist allerdings offen.
«Der Dienst an der Allgemeinheit darf durchaus seinen Wert haben.»
Eine Umsetzung von Müllers Vorschlag brauchte nach Ansicht von Fiala sicher «genaue Berechnungen, sprich: eine Gesamtschau» über die finanziellen Konsequenzen für die AHV. Zudem müsste man nach Fialas Ansicht mit einer repräsentativen Umfrage ermitteln, ob sich Frauen und Männer durch etwas motivieren liessen, das sie erst in 45 Jahren erwarte. Die Regierungskonferenz für Militär, Zivilschutz und Feuerwehr zweifelt laut dem Beitrag der beiden Sonntagsblätter daran.
Auch wenn Müllers Vorschlag im bürgerlichen Lager eher noch auf Wohlwollen stösst als in linken Kreisen: Kritik gibt es auch aus diesen Reihen. SVP-Ständerat Roland Eberle etwa mahnt, man solle Bürgerpflichten nicht mit «Goodies» ködern. Andere Bürgerliche halten Müllers Vorschlag für heikel, weil er den Dienst mit Geld der AHV belohne – Geld, das der AHV dann wieder fehle. In diesem Sinn äussert sich auch CVP-Nationalrätin Ida Glanzmann. Man könne die Idee ja anschauen, sagt sie, warnt aber: «Wir müssen aufpassen, dass wir die Sozialwerke nicht gefährden, indem wir alles damit verknüpfen.»
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