Frankreichs Grüne auf dem Vormarsch
Das Land träumt von Frischluft und Velowegen: Kurz vor den Kommunalwahlen wollen die Grünen Hoffnung verbreiten statt Angst wie Le Pen.

Die Stadt ist so klein, dass man nur ein wenig laufen müsste, um in die umliegenden Felder zu kommen. Auch hier in Nantes gedeiht die grüne Gesinnung. «Die Menschen sind aufgewacht», sagt Julie Laernoes, und ihre Zuhörer jubeln. Laernoes will für die französischen Grünen (EELV) die Stadt Nantes gewinnen.
Die Umfragen sehen sie auf Platz zwei, mit 23 Prozent der Stimmen, hinter der amtierenden Bürgermeisterin von den Sozialisten. Gewählt wird in zwei Runden; wenn es ihr gelingt, Allianzen zu schmieden, könnte Laernoes ins Rathaus der 300'000-Einwohner-Stadt einziehen. In diesem Wahlkampf sind nicht nur grün angestrichene Kampagnen omnipräsent (die meist darauf hinauslaufen, dass alle ein paar Bäume pflanzen wollen), sondern auch die Grünen als Partei. Frankreich stellt sich ökologische Grundsatzfragen.
Grenoble ist bislang die einzige französische Stadt mit grünem Bürgermeister, er hat gute Chancen auf eine Wiederwahl. Auch in Strassburg und Besançon führt jeweils eine Grüne die Umfragen an. Ebenso in Rouen. Nach einem schweren Chemieunfall im Herbst sind Fragen des Umweltschutzes in Rouen zentral geworden. In Bordeaux, Toulouse und Lille sind die Grünen in den Umfragen jeweils erste Herausforderer der amtierenden Bürgermeister.
Im Wahlkampfbüro von Julie Laernoes, gleich bei der Kathedrale von Nantes, sind an diesem Nachmittag die Menschen zusammengekommen, die seit Wochen von Tür zu Tür gehen, um für ihre Ideen zu werben. Die meisten tragen Kleidung, mit der man auch bei schlechtem Wetter Velo fahren kann. Die Tür geht auf, und es kommt Unterstützung von oben. Yannick Jadot ist aus Paris angereist. Jadot ist ein grüner Abgeordneter im Europaparlament, für Frankreichs Grüne ist er mehr. Er ist zu ihrem Aushängeschild geworden.
Bestärkt durch Europawahl
Als die Menschen vor der Europawahl 2019 anfingen, sich immer mehr für Klimafragen zu interessieren, sass Jadot in jeder Talkshow. So wie er befragt wurde, wirkte es manchmal, als hätten die Redaktionen vergessen, dass er ein Politiker ist, kein neutraler Umweltexperte. Und während die Zeitungen nur darüber schrieben, ob nun Präsident Emmanuel Macron oder seine lauteste Konkurrentin Marine Le Pen die Wahl für sich entscheidet, gelang den Grünen ein Überraschungserfolg.
Sie gewannen 13 Prozent der Stimmen. In den Umfragen hatten sie bei 8 Prozent gelegen, nun überholten sie die Konservativen, die Sozialisten sowieso. In der grünen Fraktion im Europaparlament stellen sie seitdem nach den Deutschen die zweitgrösste Gruppe.
Und so tourt Jadot nun als Galionsfigur des Erfolgs durch Frankreich. 30 Städte stehen auf seiner Liste, Nantes ist Zwischenstopp Nummer 22. Bürgermeisterkandidatin Laernoes hat gerade ihre Kampagne erklärt: Häuser besser isolieren, Tramlinien ausbauen, Werbeflächen in der Stadt beschränken – lokale Pläne. Jadot ist heute hier, um an den nationalen Plan zu erinnern.
Der Aufstieg der Grünen fällt zusammen mit dem Auftreten einer grossen Lücke. Sie klafft zwischen Macron und der linken Partei France Insoumise.
Der rechtsradikale Rassemblement National von Le Pen liegt in Nantes bei 8 Prozent, er spielt kaum eine Rolle. Doch Jadot macht Le Pen zum Zentrum seiner Rede:«Le Pen wird nicht von Nazis gewählt, sondern von Menschen, die Angst haben vor der Zukunft. Unsere Aufgabe besteht darin, Hoffnung zu geben, mit der Zukunft zu versöhnen.»
Auf der Zugfahrt zurück nach Paris betont Jadot, dass es zurzeit nur um die lokalen Wahlen gehe, nicht um die Präsidentschaftswahl 2022. Doch gleichzeitig wird deutlich, dass hier einer spricht, der das gesamte Land gestalten will. Im zentralistischen Frankreich gibt es dafür am Ende nur einen Weg: Man muss irgendwann Präsident werden.
Der Aufstieg der Grünen fällt zusammen mit dem Auftreten einer grossen Lücke. Sie klafft zwischen Macron und der linken Partei France Insoumise. Schaut man sich an, welche vier Kandidaten 2017 auf den ersten Plätzen der Präsidentschaftswahl landeten und wo deren Parteien jetzt jeweils stehen, dann gibt es nur noch die Wahl zwischen links aussen (Jean-Luc Mélenchon und seine France Insoumise) und zwischen drei Schattierungen von rechts: wirtschaftsliberal mit starkem Fokus auf bürgerliche Freiheiten (Emmanuel Macron); konservativ, katholisch und ums Überleben kämpfend (die Republikaner, gegen deren damaligen Präsidentschaftskandidaten François Fillon inzwischen ein Prozess läuft). Und schliesslich die Option: offen nationalistisch und fremdenfeindlich (Marine Le Pen).
«Die Idee der Heimat»
All jene, die Macron gewählt haben, weil sie sein Eintreten für Europa begeistert hat, denen aber gleichzeitig auch wichtig ist, dass man den Sozialstaat schützt, Flüchtlinge aufnimmt und erneuerbare Energien entschiedener fördert, sind auf der Suche nach einem neuen Hoffnungsträger. Auftritt der Grünen.
Der 52-jährige Jadot kommt aus der globalisierungskritischen Bewegung,«lokal» ist für ihn ein Schlüsselbegriff geblieben.«Wir dürfen die Idee der Heimat nicht den Nationalisten überlassen», sagt Jadot. Er halte die«linke Pose» nicht mehr aus, diese Idee, man gehöre«automatisch zu den Guten». Er findet: «Wenn man Menschen für ökologische Werte zusammenbringen will, dann muss man offen sein.»
Als Jadot einmal sagte, er habe kein Problem mit der Marktwirtschaft, ging ein Aufschrei der Empörung durch die Umweltbewegung. Grüne werden in Frankreich gern als Wassermelone bezeichnet – aussen grün, innen rot. Jadot wäre gern ein anderes Gemüse:«Wir stehen nur noch für Ökologie.»
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