Fatale Angst vor dem Netz
Darf man eine berühmte Filmszene nachspielen und das Video ins Netz stellen? Wo beginnen und wo enden Urheberrechte im Netz? Wie die Urheberrechtsdebatte richtig geführt werden müsste.
Es gehört zu den Paradoxien unserer Zeit, dass ausgerechnet das Internet jene Debatte überhaupt erst beflügelte, welche sich gegen das Internet richtete. Angestossen hatte das Ganze ein Radiointerview mit Sven Regener, in dem sich der Sänger furchtbar gegen illegales Downloaden im Netz aufregte. Vor zehn Jahren wäre das Interview unter Ausschluss einer breiteren Öffentlichkeit ausgestrahlt und sofort vergessen worden. Aber weil pointierte Äusserungen nirgendwo auf fruchtbareren Boden fallen als im Netz, hatte bald jeder Kulturschaffende im deutschsprachigen Raum Regeners Rant gehört. Man fühlte sich ermutigt. Wenige Wochen später folgte der Appell «Wir sind die Urheber», in dem prominente Kulturschaffende wie Charlotte Roche, Daniel Kehlmann oder Martin Walser gegen den Diebstahl geistigen Eigentums protestierten und für eine Stärkung des Urheberrechts eintraten.
Urheber gegen feudale Abhängigkeit
Die Reaktion liess nicht lange auf sich warten. Sie kam zunächst von den Vertretern der Netzkultur. Der Urheberrechtsexperte der Berliner Piraten, Christoph Lauer, meinte, es brauche eine «Handreichung» für die Künstler. Frank Rieger vom Chaos Computer Club (CCC) machte sich darüber lustig, dass die Künstler noch immer nicht gemerkt hätten, dass es nicht um den Kampf zwischen Urhebern und Internet-Giganten wie Amazon oder Google gehe. Sondern dass der eigentliche Konflikt zwischen Urhebern und den sogenannten «Verwertern» bestehe, also den Vertriebs- und Verwertungsorganisationen, die sich zwischen Künstler und Endkonsumenten stellen und das Produkt mit einer Dienstleistung verteuern, die heute gar nicht mehr nötig ist. Worauf die Künstler sich wiederum beeilten, sich vor die Verwerter zu stellen, die trotz allem für die Interessen der Künstler einstünden und für die richtige Vermarktung ihrer Kunstwerke sorgten.
Verächter, die etwas kritisieren, das sie nicht im Ansatz verstehen
Ist das Internet nun also gut oder böse? Wehren die Künstler sich zu Recht gegen die «global agierenden Internetkonzerne, deren Geschäftsmodell die Entrechtung von Künstlern und Autoren in Kauf nimmt» und in feudale Abhängigkeit führt? Oder sind sie vielmehr weinerliche Besitzstandwahrer, die sich mit dem Festhalten an traditionellen Verwertungsmethoden ins Aus manövrieren?
Was die Sache schwierig macht, ist, dass zahlreiche Vertreter der Urheber sich in ihren Voten als Internet-Verächter bewiesen, die etwas kritisieren, das sie nicht im Ansatz verstehen. So sprach Autorin Sibylle Lewitscharoff in der FAZ von «haltlosem Internetgequassel», was symptomatisch ist. Es geht in der Debatte nicht so sehr um die Angst vor dem Diebstahl des geistigen Eigentums, sondern um die Angst vor dem eigenen Bedeutungsverlust. Denn das autonome, kreative Subjekt, das in Einwegkommunikation und unangreifbar zu seinen Empfängern kommuniziert, gibt es im Netz nicht mehr. Im Netz ist jeder Teil eines Dialogs, das Werk ist nie geschlossen, sondern nur eine Ansammlung von Verweisen. Im Netz ist der Tod des Autorensubjekts, den die französischen Strukturalisten beschworen haben, längst selbstverständlich.
Die Netzangst
Wer gegen die Gratiskultur wettert, verkennt, dass das Internet wirklich ganz neue Rahmenbedingungen stellt. Und wer sich nur auf traditionelle Begriffe und Ideen beruft, wird die Dynamik des Netzes niemals begreifen. Und auch wenn es nicht unbedingt Aufgabe der Autoren ist, das Netz auf neue Geschäftsmodelle hin durchzudenken, so müssten sie das eigentlich von den Verwertern, also ihren Labels und Verlegern, fordern.
Paradoxerweise kamen den Autoren dann jene zu Hilfe, die letztlich schuld sein sollen an der Misere. «Wir sind die Bürgerinnen und Bürger», hiess der entsprechende Aufruf, in dem klargestellt wurde, dass man keineswegs die Abschaffung des Urheberrechts fordere. Dass es keineswegs darum gehe, dass alle nur gratis konsumieren wollen. Sondern dass man vielmehr dafür sorgen müsse, dass das Urheberrecht zukunftsfähig bleibe. Dazu müsse das Urheberrecht neu überdacht werden – und zwar unter den Vorzeichen der neuen Rahmenbedingungen im Internet. Denn im Netz sind eben auch die Fronten zwischen Konsumenten und Produzenten viel weniger klar, als die Autoren es sich wünschen. Was sich etwa an folgenden Fragen des Bürgeraufrufs zeigt:
• Wie viel Text darf man zitieren, ohne das Urheberrecht zu verletzen? • Darf man zu seinem Lieblingslied singen oder tanzen und das Video dazu im Internet veröffentlichen? • Darf man eine berühmte Filmszene nachsprechen oder im eigenen Sinn interpretieren (z. B. parodieren)? • Ist eine bestimmte Art der Nutzung mit dem Kauf von CD, Buch oder Datei bereits abgegolten?
Das sind die Fragen, die sich die Urheber stellen und die sie zusammen mit den Verwertern diskutieren sollten. Denn schliesslich leben sie am Ende von ihren Konsumenten. So oder so.
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