
Er bediene «die Fantasien der Menschen», prahlte Donald Trump in seinem Buch «The Art of the Deal». Nach etwas mehr als zwei Jahren im Amt sind die Fantasien der Amerikaner allerdings anderer Art, als Trump es sich voll des Eigenlobs vorgestellt hatte.
Die Anhänger des Präsidenten bezichtigen seine Feinde im Kongress, in liberalen Medien sowie im vermeintlichen «Deep State» von Bürokratie und Geheimdiensten eines Komplotts gegen ihren Helden. Trump solle durch ein Geflecht endloser Ermittlungen und öffentlicher Anhörungen blossgestellt und obwohl unschuldig aus dem Amt entfernt werden, lautet ihre Fantasie.
Die Gegenseite pflegt gleichfalls Fantasien: Ihnen zu Folge ist Trump ein Schwindler und ignoranter Demagoge, der schnellstmöglich aus dem Weissen Haus gedrängt werden muss.
Vom «Skandal» zur «nationalen Krise»
Wer immer Recht haben wird, eines ist schon jetzt sicher: Die Vereinigten Staaten durchleben den grössten politischen Aufruhr ihrer neueren Geschichte. Bei weitem übersteige dieser Aufruhr «einen Skandal», längst sei er «eine nationale Krise», sagte der Präsidentschaftshistoriker John Meacham dem Webportal Axios.
Egal was Russland-Sonderermittler Robert Mueller zutage fördert, wenn er seinen Abschlussbericht vorlegt: Die Trump-Präsidentschaft wird überschattet und gelähmt von schweren Anschuldigungen. Zum Beispiel Amtsmissbrauch bei der Gewährung von Sicherheitsfreigaben für Trumps Tochter und Schwiegersohn gegen die Einwände von FBI und CIA. Oder Justizbehinderung, etwa beim Hinauswurf von FBI-Direktor James Comey im Mai 2017. Oder Verschwörung mit ausländischen Mächten während des Wahlkampfs 2016.
Persönliche Bereicherung im Amt lautet ein anderer Vorwurf. Oder falsche und meineidliche Aussagen von Trumps Mitarbeitern und Kindern, ja vom Präsidenten selbst, der bekanntlich einen Fragenkatalog Robert Muellers beantworten musste. Oder die Zweckentfremdung von Geldern bei Trumps Stiftung mitsamt Versicherungsbetrug und Steuerhinterziehung. Und nicht zu vergessen illegale Wahlkampffinanzierung durch die Zahlung von Schweigegeld an Donald Trumps mutmassliche Mätressen im Herbst 2016.
Historisch einmalig
Es ist die schiere Masse potenziell justitiabler Vergehen, die der jetzigen Situation ihren historisch einmaligen Stempel aufdrückt. Beim Teapot-Dome-Skandal 1921 wurde Präsident Warren Hardings Innenminister Albert Fall von der Ölindustrie bestochen und verpachtete öffentliches Land für billiges Geld. Fall musste deshalb als erstes amerikanisches Kabinettsmitglied hinter Gitter. Das war es aber auch schon.
Der Watergate-Skandal war bedrohlicher, weil Richard Nixon den nationalen Sicherheitsapparat auf seine Feinde hetzte und den Rechtsstaat aushöhlte. Er und seine Helfershelfer mussten sich wegen illegaler Zahlungen, Einbrüchen, Justizbehinderung und Lügen verantworten. Dutzende Kontakte mit Vertretern einer feindlichen Macht, die versuchte, das Ergebnis einer amerikanischen Präsidentschaftswahl durch Hacking, Bots und Fake News zu beeinflussen, gab es 1973 hingegen nicht.
Watergate kannte auch keine vertraulichen Begegnungen mit ausländischen Emmissären, die vorhatten, die amerikanische Aussenpolitik zu beeinflussen. So geschehen 2016, als sich Trumps Sohn Donald junior und Erik Prince, der Gründer der berüchtigten und inzwischen aufgelösten Sicherheitsfirma Blackwater im Trump Tower in New York mit Abgesandten der Vereinigten Arabischen Emirate trafen. Die Emiratis boten offenbar Hilfe an, weil sie sich im Falle eines Wahlsiegs von Donald Trump ein hartes amerikanisches Vorgehen gegen den Iran versprachen.
Permante Krisenatmosphäre
Ronald Reagans Irancontra-Skandal – Raketen für das Regime in Teheran im Tausch für die Freilassung amerikanischer Geiseln – erschütterte seine Präsidentschaft, war aber eine Petitesse im Vergleich zu den mannigfaltigen Anschuldigungen gegen Donald Trump und seine Umgebung.
Natürlich beflügelt die Menge möglicher Vergehen die Fantasien beider politischer Lager. Die Beschuldigungen polarisieren und tragen in Washington zu einer permanten Krisenatmosphäre bei, in der sich nur wenig oder nichts mehr bewegt. Der tägliche Nachrichtenzyklus wird fast ausschliesslich von Ermittlungen, sensationellen Enthüllungen und falschem Alarm geprägt.
Kaum kalkulierbare Schäden für die Nation
Angesichts dessen ist es die Strategie der demokratischen Mehrheit im Repräsentantenhaus, zuzuwarten und einer Anklageerhebung gegen Trump zunächst auszuweichen. Untersuchungen in mindestens sechs Ausschüssen des Repräsentantenhauses sollen den Präsidenten politisch demontieren und zudem Licht in Korruptionsaffären um Ex-Innenminister Ryan Zinke und Scott Pruitt, den ehemaligen Chef der Umweltbehörde EPA, sowie andere Mitarbeiter Trumps bringen.
Seine Aufgabe sei es, «dem amerikanischen Volk Fälle von Justizbehinderung, Korruption und Amtsmissbrauch zu präsentieren», glaubt der demokratische Vorsitzende des Justizausschusses, Jerrold Nadler. Er und seine Kollegen befinden sich dabei auf einer politischen Gratwanderung: Die demokratische Basis will Trump aus dem Amt entfernen, Trumps Anhängerschaft aber interpretierte ein solches Vorgehen als Coup gegen einen Präsidenten, der die Wirtschaft belebt hat und endlich ausspricht, was bislang nur gedacht werden durfte.
Gewiss werden Trump und seine mediale Hilfstruppe bei Fox News die gegenwärtige Krise weiter anheizen – mit kaum kalkulierbaren Schäden für die Nation. Deren Fantasie hat Donald Trump wie kein Präsident seit Richard Nixon angeregt. Die kommenden Wochen und Monate werden zeigen, was davon wahr ist und was erfunden und eingebildet.
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Fantastische Zeiten in den USA
Die politische Krise in Washington strebt einem Höhepunkt zu. Die beiden Lager stehen sich dabei unversöhnlicher denn je gegenüber.