Fair Food schmeckt Strahm nicht
Die Gegner der Agrarinitiativen erhalten überraschende Unterstützung aus dem linken Lager.

Mitte August wollten gemäss einer SRG-Umfrage über 70 Prozent der Stimmberechtigten den beiden Agrarinitiativen zustimmen. Inzwischen hat der Ja-Anteil gemäss zweier Tamedia-Umfragen zwar deutlich abgenommen. Ein Nein, wie es sich der Bundesrat und bürgerliche Parteien wünschen, ist aber noch längst nicht gesichert. Rot-Grün ist immer noch fast geschlossen für die Vorlagen.
Von links bekommt das bürgerlich-wirtschaftlich geprägte Nein-Lager jetzt aber unerwartete Hilfe. Ausgerechnet Rudolf Strahm, Alt-SP-Nationalrat, Ex-Preisüberwacher, Globalisierungskritiker und Gegner eines uneingeschränkten Agrarfreihandels, stellt sich gegen die Initiativen. Sowohl die Fair-Food- als auch die Ernährungssouveränitätsinitiative wollen die einheimische Landwirtschaft fördern und die Einfuhr von Landwirtschaftsprodukten erschweren, insbesondere, wenn sie nicht Schweizer Vorschriften entsprechen.
«Spiegel der aktuellen Deluxe-Lifestyle-Welle»
Strahm wählt harte Worte. Die Initiativen seien «unsozial», ja sogar ein «Etikettenschwindel», sagt er. Damit fährt Strahm vor allem seinen eigenen Kreisen an den Karren, denen er vorwirft, mit den Initiativen die eigenen Grundsätze und Interessen zu verraten. Die SP Schweiz stellt sich hinter die Fair-Food-Initiative der Grünen und die Ernährungssouveränitätsinitiative, die von der Westschweizer Bauerngewerkschaft Uniterre lanciert wurde.
«Die Initiativen sind ein Spiegel der aktuellen Deluxe-Lifestyle-Welle», sagt Strahm. Sie würden zu «selektiven Importverboten und einer Verengung des Angebotssortiments sowie zweifellos zu höheren Preisen ohne Qualitätsverbesserung» führen. Leidtragende würden Normal- und Kleinverdiener sein. Die Initiativen stünden im Widerspruch zu einer sozialen Konsumentenpolitik.
Aber auch die ökologischen Argumente, welche die Initianten vorbringen, zieht Strahm in Zweifel. Ebenso lässt er die von den Initianten geäusserte Kritik am Agrarfreihandel nicht gelten. «Die beiden Initiativen sind gut gemeint, aber aus Nachhaltigkeitssicht ein Etikettenschwindel.» Sie gingen von einem geschönten Bild der Landwirtschaft aus. Die konventionelle Schweizer Landwirtschaft sei längst eine industrielle Landwirtschaft: Pro Hektare würden mehr Pestizide und pro Tier mehr Antibiotika eingesetzt als in jedem anderen Land Europas, argumentiert Strahm. «Mit der Einfuhr einer Million Tonnen Futtermitteln steckt im ‹Schweizer Fleisch› viel weniger Schweiz, als die Werbung vortäuscht. Weidefleisch aus Lateinamerika ist qualitativ besser und nachhaltiger als solche Schweizer Fleischprodukte. Auch die irrwitzige Gemüseproduktion in beheizten inländischen Treibhäusern ist überhaupt nicht nachhaltig.»
Coop und Migros finanzieren Nein-Kampagne mit
Schliesslich brandmarkt Strahm die beiden Begehren als Gefahr für die Entwicklungshilfe: «Die Initiativen sind aus entwicklungspolitischer Sicht nicht akzeptabel. Durch ihren Protektionismus verhindern wir, dass auch Entwicklungsländer exportieren, ihre Handelsbilanz verbessern und mehr Beschäftigung anbieten können.» Strahm kritisiert deshalb auch die Haltung der Entwicklungshilfeorganisationen im Abstimmungskampf: «Es ist unverständlich, dass sie dazu jetzt schweigen. Sie handeln damit gegen ihre früheren Verlautbarungen.» In den 70er-Jahren war Strahm ausgerechnet als Sekretär der Erklärung von Bern tätig gewesen. Heute nennt sich die Organisation, die sich für globale Gerechtigkeit einsetzt, Public Eye.
Strahm ist bereit, bis zur Abstimmung am 23. September gegen die beiden Agrarinitiativen aufzutreten. Seine Statements sollen Teil der Nein-Kampagne werden. Und da er als Linker, Globalisierungskritiker und Anwalt der Konsumenten im rot-grünen Lager grosse Glaubwürdigkeit geniesst, dürfte er dort erhebliche Zweifel an den Initiativen säen.
Überhaupt versuchen die Gegner der Agrarinitiativen, die bis jetzt vorab als Vertreter der Wirtschaftsverbände wahrgenommen wurden, ihre Glaubwürdigkeit bei den Konsumenten zu steigern. Dabei können sie nicht nur auf den Support der Verbände der Obst- oder Gemüseproduzenten und der Bäcker-Confiseure sowie der Fleischbranche zählen. Auch Coop und Migros sind gegen die Initiativen. Über die gemeinsame IG Detailhandel Schweiz unterstützen die beiden Grossverteiler die Nein-Kampagne – auch finanziell. Zwar sind Nachhaltigkeit, Ökologie und Tierwohl Anliegen, die Coop und Migros mit den Initianten teilen. Ihre Ablehnung wollen sie jedoch nicht als Widerspruch verstanden haben. Die Initiativen seien zwar «gut gemeint», schreiben auch sie in einem Positionspapier. Coop und Migros lehnen jedoch staatliche Eingriffe ab – und wollen lieber wie bis anhin auf Freiwilligkeit setzen.
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