Faberhaft
Bitterböse Texte und ein süffiger Sound: Der Zürcher Sänger Faber ist abartig gut. Wann merkts auch die Schweiz?

Da kommt etwas auf uns zu. Ein neuer Stephan Eicher vielleicht. Eine männliche Sophie Hunger ganz bestimmt. Von «Kehlkopfwunder» schwärmt die deutsche Wochenzeitung «Die Zeit», «grosses Referenzkino», schreibt der «Musikexpress». Deutschland hat einen neuen Liebling, und er ist Schweizer. Sein Name ist Faber. Die Luft im Badener Club Royal ist zum Schneiden dick. Bis jetzt haben nur wenige Schweizer gemerkt, dass da ein Ausnahmetalent heranwächst. Der 24-jährige Faber tritt hierzulande in winzig kleinen Konzertlokalen auf, in Berlin und anderen deutschen Städten müssen sie ihn in grosse Hallen verlegen, um dem Ansturm gerecht zu werden. Faber hat eben ein Merkmal, auf das die Schweiz allergisch reagiert. Er singt hochdeutsch.
In Baden hüpft und schwitzt das Publikum, der Schweiss tropft von der Decke. «Ich bin fast kollabiert», wird er später sagen bei einem Gespräch in einer lauschigen Zürcher Gartenbeiz. An diesem Abend aber legt sich Faber voll ins Zeug, seine Locken kleben ihm im Gesicht, er holt alles aus seiner grossen Statur und seiner tiefen Stimme heraus. Mitten im Konzert geht er von der Bühne, um schnell eine Zigarette zu rauchen. Als er wiederkommt, ist es totenstill.
Selten ist Kitsch so schön. Und so hinterhältig
«Lass mich nicht los / Lass mich nicht auf dich los», singt er jetzt mit einem leichten Vibrato. Reif und lebenserfahren klingt seine Stimme, als habe er sie jahrzehntelang mit seinen Parisienne behandelt. Man hört französisches Chanson, Jacques Brel und Serge Gainsbourg, aber auch den melancholischen Donnergroll von Nick Cave und das liebliche Pathos von Hildegard Knef. Faber wagt sich ganz nah ans Klischee des Liedermachers, der in Rotweinseligkeit ertrinkt. Aber er bricht die Harmonie sofort wieder, schlägt Haken vom Selbstmitleid zur Selbstironie – und zurück. Der Song endet mit der Zeile: «Es wär besser für dich, jetzt zu gehn.» Selten ist Kitsch so schön. Und so hinterhältig. Auf Fabers Debütalbum, das am 7. Juli erscheint, überrascht er mit einer genialen Mischung aus bissigen Texten und süffiger Musik, die man runterschlürft wie einen Cuba Libre. Unschuldig und zum Knuddeln süss sieht der Zürcher aus mit seinem Wuschelkopf, aber Faber hat so gar nichts gemein mit den vielen jungen Sängern, die derzeit – vor allem in Deutschland – mit seichten Songs und braven Texten die Hitparaden zum Schlagerparadies ummodeln wollen.
Faber singt Nichts. Quelle: Youtube
«Ich suche Widersprüche», sagt Faber. Und zündet sich eine weitere Zigarette an. Seine Bosheit lebt er in den Texten dann so aus: «Wem dus heute kannst besorgen / Dem besorgst dus morgen auch», heisst es gleich im ersten Lied. «Es ist schön mit dir / Doch es könnte schöner sein», in einem andern. Und die brutalste Zeile, die ihm für das Album «Sei ein Faber im Wind» eingefallen ist, lautet: «Einer von uns beiden war ein Arschloch / Und das warst du.»
Faber ist der Sohn von Pippo Pollina
Peng, das sitzt. Und passt zum Schlager wie die Faust aufs Auge. Faber tut weh, nicht nur, wenn man das Arschloch ist. Der Sänger gibt auf die Frage, wer denn in dem Text gemeint ist, keine Antwort. Er hält sich sowieso gerne bedeckt, was sein Privatleben betrifft. Darin ähnelt er seiner Kollegin Sophie Hunger (mit der er schon oft aufgetreten ist und die ihn gefördert hat), aber es hat auch einen Grund: Faber ist der Sohn von Pippo Pollina. Julian Pollina heisst Faber eigentlich. Den Vergleich mit seinem Vater, dem berühmten sizilianischen Cantautore, der in Zürich lebt und eine Europatour nach der andern absolviert, scheut er wie der Teufel das Weihwasser. «Es war nie schwierig für mich, dass mein Vater Sänger ist», sagt er zwar. Aber dass sein Künstlername ein Deckname ist, der ihn vor Vergleichen schützen soll, gibt er zu. «Mein Vater ist kein Thema für mich. Wir sind einfach eine normale Familie.»
Faber mit «Alles Gute» live bei Inas Nacht. Quelle: Youtube
Faber – die Anspielung auf Max Frischs Roman «Homo Faber» ist kein Zufall. Aufgewachsen ist Julian im gutbürgerlichen Zürcher Seefeld, wo er heute noch lebt. An der Kantonsschule Stadelhofen besuchte er das Gymnasium mit musischem Profil. Danach hing er für ein paar Monate bei seinem Onkel auf Sizilien ab, dann trat er in italienischen Restaurants und auf Hochzeiten auf. Er kam gut an. Nicht nur mit italienischen Canzoni, auch mit seinen eigenen Liedern, die er auf hochdeutsch schreibt, seit der Sänger seiner ersten Band, der weder englisch noch schweizerdeutsch konnte, ausgestiegen ist. «Ich bin ganz gerne der Exot.»: Dass Faber mit seinem Hochdeutsch in der Schweizer Musikszene einen schweren Stand hat, ja fast als Verräter angesehen wird, macht ihm nichts aus. Er mag das Spiel mit Irritation und Verwirrung. Nimmt sogar in Kauf, dass mal einer im Publikum «Nazi-Scheiss!» schreit, weil er Fabers Zynismus falsch versteht. Und er führt auch seine Fans hinters Licht.
Faber küsst und schlägt seine Hörer gleichzeitig
«Haltet euch die Ohren zu!», ruft Faber in Baden ins Publikum. «Ich habe einen Pakt mit einer Plattenfirma geschlossen.» Dann legt das Klavier fröhlich klimpernd los, der Posaunist, der auch Schlagzeug spielt, klopft einen strammen Marsch. Und Faber röchelt mit heiserer Stimme «Genug war nie genug für mich / Heute ist mir nichts schon viel zu viel». «Nichts» ist zwar ein zigeunerhaftes Sauflied, ein rumpelndes und schunkelndes Tanzstück zwischen Folkrock, Chanson und Balkandisco, aber eine bequeme Anbiederung, die nur nach dem grossen Hit schielt, ist es bei weitem nicht. Man weiss bei Faber nie so genau. Der Zürcher nimmt auch all jene auf den Arm, die ihn gerade wegen seiner pathetischen Poesie und seiner sublimen Ambivalenz mögen. «‹Wer nicht schwimmen kann, der taucht› / Findest du ein schönes Bild / Wegen der Ironie im Text und den schönen Harmonien», singt er im Lied «Es könnte schöner sein». Wunderschön dekoriert von einer schmetternden Posaune und einem romantischen Chor, der den Hintergrund mit einem klingenden Sonnenuntergang füllt. Ja, Faber küsst und schlägt seine Hörer gleichzeitig. Doch die lassen sichs gerne gefallen. Denn Fabers melodramatischer, grenzenlos mondialer Schlagerpunk ist die schönste Publikumsbeschimpfung, die man sich denken kann.
Das Album «Sei ein Faber im Wind» erscheint am 7. Juli (Universal)
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