Nach Spionage-EnthüllungenEx-CIA-Agent nimmt Schweizer Medien ins Visier
Er soll für Katar Fussballakteure wie Gianni Infantino ausspioniert haben. Alles falsch, sagt Kevin Chalker. Und schlägt vor Gericht zurück – insbesondere gegen einen einzelnen Journalisten.

Kevin Chalker war undercover für den amerikanischen Auslandsgeheimdienst aktiv, in gefährlichem Umfeld. Gemäss eigenen Angaben sollte er bei der CIA verhindern, dass der Iran und Nordkorea zu Atomwaffen kommen. Dies geht aus Schweizer Justizdokumenten hervor.
Heute kämpft Chalker – er ist mittlerweile privater Sicherheitsunternehmer – nicht mehr im Geheimen gegen Mullahs oder Diktatoren. Sondern um seinen Ruf. Von seinem Firmensitz im New Yorker One World Trade Center aus (wo bis 9/11 die Twin Towers standen) operiert er gegen Schweizer Medien.
Der US-Amerikaner ist gleich bei drei Justizbehörden in Zürich vorstellig geworden. Gemäss seinem Anwaltsteam hat er in den vergangenen Tagen mehrere Rechtsschriften eingereicht. Diese Redaktion konnte die über 300 Seiten mit Ersuchen, Klagen und Anzeigen einsehen. Der einstige Spion kritisiert darin die Berichte von drei grossen Schweizer Medienhäusern: der SRG, dem Ringier-Verlag und der NZZ-Gruppe. Chalker will erreichen, dass Online-Texte gelöscht oder angepasst werden, laut welchen er eine riesige Spionageoperation für Katar gegen Fussballfunktionäre durchgeführt haben soll. An der Berichterstattung ist gemäss dem ehemaligen CIA-Agenten so ziemlich alles falsch.
Die Bericht-Triplette
November 2022. Kurz vor Beginn der Fussball-WM im Katar strahlte die «Rundschau» von SRF einen Beitrag über ein «Projekt Gnadenlos» aus. Untertitel des Begleittexts auf der Webseite des Senders: «Wie Katar in der Schweiz die Fussballwelt ausspionierte». Kurz vor dem Finalspiel in Doha doppelte der Ringier-Titel «SonntagsBlick» mit einem Artikel über «heikle Spionagepläne» nach: «Katar wollte Putin ausspionieren – auf Schweizer Boden!» Den vorläufigen Schlusspunkt setzte im März dieses Jahres die «NZZ am Sonntag» mit einem Bericht über «Projekt Matterhorn»: Dabei geht es um das angebliche Abhören eines Geheimtreffens zwischen dem damaligen Bundesanwalt Michael Lauber und Fifa-Chef Gianni Infantino im Hotel Schweizerhof in Bern.(Lauber hat sich gegen die Darstellung in einem Interview mit dieser Zeitung gewehrt.)
Der Autor blieb derselbe: ein Recherchejournalist, der früher für diese Redaktion arbeitete, ehe er zwischenzeitlich zum SRF-Investigativteam wechselte. Die Berichte für den «SonntagsBlick» und die «NZZ am Sonntag» verfasste er als freier Mitarbeiter. Für die Enthüllungen über die Grossoperation gegen Katar-Kritiker, welche das WM-Austragungsland mit Hunderten Millionen Dollar finanziert haben soll, erhielt er aus der Medienbranche viel Lob. Insbesondere die Story über das abgehörte Geheimtreffen wurde weltweit aufgegriffen. Nun geht Kevin Chalker gegen den Verfasser der Artikel-Triplette persönlich vor.

Gemäss seinem Anwaltsteam hat Chalker dieser Tage eine Strafanzeige gegen den Reporter und gegen unbekannt wegen mutmasslicher Ehrverletzungsdelikte und angeblicher falscher Anschuldigung eingereicht sowie ein Schlichtungsgesuch bei einem Zürcher Friedensrichter eingereicht – eine Vorstufe zu einer Klage am Bezirksgericht. Darin verlangt er vom Journalisten, dass er die Kernaussagen aus den Online-Artikeln löschen lässt.
Doch damit nicht genug: Chalker deponierte kürzlich auch eine Klageschrift von 131 Seiten beim Zürcher Handelsgericht gegen den NZZ-Verlag. Er fordert darin die Löschung von Texten, Tweets, Hinweisen bei Google und die Herausgabe des Gewinns, den die «NZZ am Sonntag» mit der Titelgeschichte über ihn erzielte. Die Zeitung habe ihm «unter Auslassung der Unschuldsvermutung» verbotenen Nachrichtendienst in der Schweiz und die Abhörung und Rekrutierung des inzwischen zurückgetretenen Bundesanwalts Lauber vorgeworfen.

Gestützt habe sich die Redaktion auf Planungsdokumente «von einer geradezu erstaunlichen Einfältigkeit». Diese Dokumente hätten den Eindruck erweckt, dass sie von einem Primarschüler mit Powerpoint-Grundkenntnissen und einem Faible für Spionagegeschichten stammen könnten. Definitiv stammten sie nicht von Chalkers Firma. Nur schon das Logo darauf sei gefälscht. Beim Handelsgericht reichte der Ex-Spion auch Passkopien und Spesenabrechnungen von ihm und von Mitarbeitern ein. Die Unterlagen sollen belegen, dass im Zeitraum des Geheimtreffens von Lauber und Infantino im Juni 2017 niemand aus der Firma auch nur in der Nähe von Bern war.
NZZ gibt sich gelassen
«Die Klage ist in allen Punkten unbegründet und wir werden dies im Verfahren entsprechend darlegen», schreibt eine NZZ-Sprecherin. «Der fragliche Artikel in der ‹NZZ am Sonntag› wurde sorgfältig recherchiert und vorgängig juristisch überprüft.» Der Inhalt sei gut dokumentiert und rechtlich unbedenklich. «Wir sehen dem Verfahren daher gelassen entgegen.»
SRF und Ringier schreiben beide, dass sie sich nicht äussern können, da gegen sie nicht juristisch vorgegangen werde. Chalker hat nicht direkt gegen die beiden Medienhäuser geklagt, aber bezeichnet auch ihre Beiträge in den Rechtsschriften als falsch. SRG sieht dennoch «keinen Anlass, die Berichterstattung anzupassen».
Spionagevorwürfe gegen Chalker und Katar hat zuerst die US-Nachrichtenagentur AP erhoben, die auch berichtete, dass deswegen die Bundespolizei FBI ermittle. Die Betroffenen hatten auch diese Anschuldigungen bestritten und AP mitgeteilt, dass angebliche Firmenunterlagen nicht echt seien oder von Firmenpraktikanten stammten.
Nun schreibt Chalker in einer Stellungnahme, dass er nach der AP-Berichterstattung das FBI kontaktiert habe und über seine Anwälte «volle Kooperation in jeder Untersuchung» angeboten habe. Seither habe sich die US-Strafverfolgung nicht weiter nach ihm erkundigt.
Ohrfeige oder Notwehr?
Gegen die AP-Berichterstattung ist Chalker, soweit bekannt, nicht juristisch vorgegangen. Stattdessen wird der Ex-Spion nun in der Schweiz aktiv. Gemäss Schweizer Medienjuristen ist sein energisches Vorgehen aber nicht einmalig.
«Es handelt sich bei diesem Vorgehen um den offensichtlichen Versuch, kritischen Investigativjournalismus mit grossem Mitteleinsatz zu unterbinden», schreibt eine NZZ-Sprecherin. Ziel Chalkers sei es, «Medien einzuschüchtern und Berichterstattung, die im öffentlichen Interesse liegt, unmöglich zu machen». Zu der Einschüchterungstaktik zähle auch, dass die Klage in die Medien gebracht wird, bevor die «NZZ am Sonntag» überhaupt dazu juristisch Stellung nehmen konnte.
Journalismusorganisationen beklagen vermehrt sogenannte «Slapp»-Klagen. Slapp bedeutet auf Englisch Ohrfeige, aber steht auch für «Strategic Lawsuits Against Public Participation». Damit werden juristische Interventionen zur Einschüchterung investigativer Medienschaffender bezeichnet. Solche Aktionen bedingen im Hintergrund in der Regel finanzstarke Akteure.
Chalker schreibt auf Anfrage, sein Vorgehen sei «das genaue Gegenteil von Slapp-Klagen». Er stellt seine Rechtsbegehren als eine Art Notwehr dar, weil die Falschmeldungen nicht aufgehört hätten und immer verleumderischer geworden seien: «Als es so weit ging, dass behauptet wurde, dass wir das illegale Abhören des höchsten Schweizer Strafverfolgers orchestriert hätten, hat die Kampagne ein neues und überraschendes Extrem erreicht.»
Journalist bei Sonderermittlern
Chalker räumt ein, dass er im Zusammenhang mit der Fussball-WM für Katar tätig gewesen ist – allerdings in einem vergleichsweise harmlosen Bereich: «hauptsächlich um die Sicherheit der Zuschauer, der Mannschaften und aller anderen Teilnehmer bei diesem Grossereignis zu gewährleisten». Dafür habe sein Unternehmen lokales Personal ausgebildet.
Die «NZZ am Sonntag» legte zum angeblichen Abhören des Geheimtreffens in Bern keine Dokumente oder Aussagen Beteiligter vor. Der Verfasser der Artikel-Triplette ist gemäss Recherchen kürzlich zweimal mit den Ausserordentlichen Bundesanwälten Hans Maurer und Ulrich Weder zusammengekommen, welche wegen der Geheimtreffen gegen damalige Teilnehmer ermitteln. Der Journalist hat sowohl in einer informellen Zusammenkunft mit Maurer und Weder als auch bei seiner Einvernahme als Zeuge mit Verweis auf Quellenschutz keine über die Berichterstattung hinausgehenden Angaben gemacht.
Im nun anstehenden Rechtsstreit müssen die involvierten Medienhäuser Belege vorlegen können. Sonst droht ihnen ein Debakel. Falls sie aber Beweise für Spionage in der Hinterhand haben, wird es für die daran Beteiligten ungemütlich.
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