Es könnte noch wochenlang regnen
Ein Hilfsangebot von Indien stürzt die Regierung in Islamabad in ein Dilemma. Soll man sich vom Feind helfen lassen? Derweil ist die Zahl der Flutopfer auf 20 Millionen gestiegen. Und: Es regnet weiter und weiter.
Während Pakistan wegen der Flutkatastrophe die ganze Welt um Hilfe bittet, ist ein Hilfsangebot nicht wirklich willkommen - jenes des Erzfeindes Indien. Der indische Aussenminister S.M. Krishna hat seinen pakistanischen Amtskollegen Shah Mahmood Qureshi angerufen und dabei nicht nur die Solidarität und das Mitgefühl Indiens für die Leiden der pakistanischen Bevölkerung ausgedrückt, sondern auch konkret Hilfe angeboten.
Indien werde Hilfsgüter für fünf Millionen Dollar nach Pakistan entsenden, falls die Regierung dies wünsche, lautete das Angebot des Inders gemäss seinem Ministerium in Neu Delhi.
Seitdem gab es keine offiziellen Verlautbarungen mehr zum Thema - weder aus Indien noch aus Pakistan. Allerdings berichtete am Sonntag der pakistanische Sender Dawn TV unter Berufung auf Regierungsquellen in Islamabad, es werde beraten, ob das Angebot angenommen werde.
Beziehungen verbesserten sich nach Beben
Indien hat Pakistan bislang nur einmal mit humanitärer Hilfe unterstützt: nach dem Erdbeben im Oktober 2005 in der von beiden Ländern beanspruchten Kaschmir-Region. Dabei waren auf pakistanischer Seite 84'000 und auf indischer 1300 Menschen gestorben.
Wegen der Not öffnete Indien damals die Grenze und liess Hilfsgüter passieren. Danach verbesserten sich die Beziehungen etwas und die Anfang 2004 aufgenommenen Friedensgespräche zwischen den beiden Atommächten gewannen an Schwung. Allerdings wurden diese nach der Terrorserie von Mumbai mit 174 Toten im November 2008 auf Eis gelegt.
Zahl der Flutopfer steigt auf 20 Millionen
UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon fordert von der internationalen Gemeinschaft schnellere Hilfe für die Flutopfer in Pakistan. Ban hatte sich am Sonntag selbst ein Bild in den Flutgebieten des Landes gemacht.
Nach UNO-Angaben ist erst ein Viertel der für den ersten Hilfseinsatz benötigten 459 Millionen Dollar angekommen. In Pakistan überflog Ban zerstörte Gebiete in der Provinz Punjab und traf in Muzaffargarh Überlebende.
Zudem traf er sich mit Präsident Asif Ali Zardari und Premier Yousuf Raza Gilani. Gilani zeichnete dabei ein dramatisches Bild: 20 Millionen Menschen seien obdachlos, sagte er. Ban warnte, die Katastrophe sei noch lange nicht vorbei. «Der Regen hält an und könnte noch wochenlang weitergehen», sagte er.
Ernte vernichtet
20 Millionen Menschen seien direkt oder indirekt von der Flut betroffen, sagte Ban. Zuvor hatte die UNO von 14 Millionen Flutopfern gesprochen. Ban kündigte an, weitere 10 Millionen Dollar aus dem UNO-Nothilfefonds zur Verfügung zu stellen.
Am Samstag hatte Regierungschef Gilani die Weltgemeinschaft in einer Fernsehansprache um Hilfe angefleht. Er rief diese auf, «eine helfende Hand zu reichen». Die Wassermassen hätten Lebensmittelvorräte und Ernte vernichtet.
Gemäss den Behörden ist ein Viertel der Fläche Pakistans überflutet. Das ist ein Gebiet von der Grösse Italiens. Durch neue Fluten wurden am Wochenende hunderte Dörfer in der südwestlichen Provinz Belutschistan verwüstet.
Erdbebenhilfe versickerte
Die Spendenbereitschaft könnte durch einen mutmasslichen Skandal um veruntreute Hilfsgelder leiden. Die britische Zeitung «Daily Telegraph» berichtete, dass nach dem Erdbeben vor fünf Jahren umgerechnet 367 Millionen Euro an Hilfsgeldern veruntreut worden seien.
Die Finanzmittel seien bis heute nicht in die Kassen der für den Wiederaufbau betrauten Behörde ERRA geflossen. Beim Beben im Oktober 2005 waren in Kaschmir 84'000 Menschen getötet worden.
Lage in Flutgebieten verzweifelt
Nun hat Pakistan seit zwei Wochen mit Überschwemmungen zu kämpfen. Gemäss der der Regierung ist mehr als jeder achte der 170 Millionen Einwohner betroffen.
In vielen Gebieten warten die Menschen nach wie vor auf Hilfe. Die Gründe dafür sind einerseits in der schieren Grösse der Flutgebiete zu suchen und andererseits in der hilflosen Reaktion der Regierung. Präsident Zardari zieht dabei derzeit die meiste Wut auf sich - die Menschen können ihm nicht verzeihen, dass er eine zweiwöchige Europareise nicht vorzeitig abbrach.
Aus einzelnen Regionen wurden am Wochenende Plünderungen und Angriffe auf Hilfskonvois gemeldet, weil es den Menschen am Nötigsten fehlt.
Der Sender Dawn TV berichtete von ersten Hungertoten: fünf Kinder seien an Unterernährung gestorben. Die Todesfälle in der bergigen Provinz Khyber Pakhtunkhwa seien eine Folge der Versorgungslage. Zerstörte Strassen machten es Hilfskonvois unmöglich, zu den Betroffenen vordringen.
Erste Cholera-Fälle
Die UNO bestätigte einen Fall von Cholera im Swat-Tal im Nordwesten. Mindestens 36'000 Menschen litten an Durchfallerkrankungen, die ein Symptom für Cholera sein können.
Der Koordinator der US-Katastrophenhilfe für Pakistan, Mark Ward, zeigte sich aber zuversichtlich, eine Ausbreitung verhindern zu können. Die gute Nachricht sei, dass man wisse, wo der Fall aufgetreten sei.
Unabhängigkeitsfeiern abgesagt
Wegen der Katastrophe verzichtete die Staatsspitze am Samstag auf die Feiern zum Unabhängigkeitstag. Zardari erklärte zum 63. Jahrestag des Endes der britischen Kolonialherrschaft, er bewundere «Mut und Heldentum» der Überlebenden. «Unsere Religion verbietet Mutlosigkeit. Allah will uns testen.» Den Betroffenen versprach er in einem Hilfscamp Abhilfe.
Auch das mächtige Militär verzichtete auf Feiern. Die Armee wollte die Mittel dafür stattdessen Opfern spenden. Insgesamt macht das Militär derzeit eine bessere Figur als die Regierung: Es reagierte weit rascher als diese. Gleiches gilt für islamistische Extremisten, die die Flut nutzten, um sich als gute Samariter in Szene zu setzen.
SDA/bru
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