Carla Del Ponte«Es ist möglich, Putin vor Gericht zu stellen»
Die ehemalige UNO-Chefanklägerin hat ihre Forderung nach einem internationalen Haftbefehl gegen den russischen Präsidenten bekräftigt. Bei ihrer Rede hat sie auch die UNO und die USA kritisiert.

Sie sei vielleicht die einzige Person, die wisse, wie man es anstellen müsse, um einen amtierenden Präsidenten vor den Internationalen Strafgerichtshof zu bringen, sagte die ehemalige UNO-Chefanklägerin Carla Del Ponte am Sonntag am Rande der «Eventi Letterari» auf dem Monte Verità ob Ascona.
Auch Milosevic sei noch im Amt gewesen, als der erste Haftbefehl gegen ihn ausgestellt worden sei. Deshalb glaube sie, dass es möglich sei, Putin vor Gericht zu stellen, sagte Del Ponte an der Medienkonferenz im leeren Schwimmbad auf dem Monte Verità.
Sie kenne den russischen Präsidenten schon lange, erzählte die ehemalige Bundesanwältin weiter. «Die Streubomben in Syrien wiesen russische Zeichen auf. Ich will wissen, welche Zeichen die Streubomben in der Ukraine tragen.»
«Ich bin immer auf der Seite der Opfer»
Dies sei der letzte Moment, in dem sie sich noch äussere, hielt Del Ponte fest. «Ich bin pensioniert». Gleichzeitig habe sie einfach reden müssen, erklärte die Tessinerin: «Ich bin immer auf der Seite der Opfer und suche nach Gerechtigkeit für die Opfer.» Der Jugoslawienkrieg habe sie gelehrt, dass das Vor-Gericht-Stellen der Verantwortlichen unglaublich wichtig sei für die Opfer.
Deshalb sei es zentral, nun laufend Beweise für die Kriegsverbrechen in der Ukraine zu sammeln, fuhr Del Ponte fort. «Zu belegen, dass Putin der Hauptverantwortliche dieses Krieges ist, ist der schwierigste Teil der Arbeit überhaupt.» Dabei helfen könnten die Geheimdienste, aber auch im Internet kursierende Videos müssten auf ihre Echtheit überprüft werden. Und es sei nötig, die getöteten Zivilisten zu obduzieren, betonte Del Ponte.
Auf die Frage eines Journalisten, wie gross sie die Chancen auf einen Prozess einschätze, sagte Del Ponte, erst wenn Putin nicht mehr Präsident sei, könne er vor den Internationalen Strafgerichtshof gestellt werden. «Die Justiz hat grosse Geduld. Es gibt keine Verjährung für diese Verbrechen. Und Putin wird nicht ewig Präsident bleiben.»
Ein weiterer Medienschaffender wollte wissen, ob sie in diesem Krieg Anzeichen für einen Genozid sehe. Del Ponte verneinte: Bisher habe sie nicht genügend Elemente gesehen, die es rechtfertigten, von «Völkermord» zu sprechen. Jedoch könne es sein, dass der ukrainische Präsident Selenski, der Putin einen Genozid am ukrainischen Volk vorwirft, über andere Informationen verfüge.
Kritik an der UNO
Die ehemalige UNO-Chefanklägerin kam in Ascona auch auf die Rolle der Vereinten Nationen zu sprechen. Diese seien wichtig, aber heutzutage beschränkten sie sich auf «humanitäre Hilfe», kritisierte Del Ponte. Es wäre an der UNO gewesen, in den Tagen vor Kriegsausbruch Selenski und Putin in New York an einen runden Tisch zu bringen.
Auch den amerikanischen Präsidenten Joe Biden kritisierte die Tessinerin: Bei ihm seien direkte Äusserungen zu hören, aber die USA seien bis heute kein Vertragsstaat des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag. Dies müsse sich ändern.
Auf die abschliessende Frage einer Journalistin, ob sie die Bilder über den Krieg im Fernsehen in erster Linie als Mensch oder als Juristin anschaue, antwortete Del Ponte: «Ich sehe sie immer aus der Optik der Anklägerin.»
SDA
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