«Es hat keinen Sinn mehr»
Vierzig Jahre lang mischte die Vereinigung Gemeinde Politik im Dorf mit. Sie wollte das Engagement im Dorf fördern, litt meistens aber selbst unter zu wenig Mitgliedern. Nun hat sich die Vereinigung aufgelöst.

Der Appell des Präsidenten war unmissverständlich. Die Partei verliere an Schwung, sie habe zu wenige Mitglieder, immer die gleichen Leute machten die Arbeit. Die Vereinigung Gemeinde Politik (VGP) aus Kaufdorf, die 1978 gegründet wurde, befand sich in einer Krise.Man kann nicht sagen, dass der Appell erfolglos geblieben wäre. Denn es war im Jahr 1985, als der Präsident seine Sorgen äusserte. Danach gab es die Partei immerhin noch fast 35 Jahre. Klar ist aber auch: Die Vereinigung Gemeinde Politik hatte eigentlich fast immer mit Problemen zu kämpfen.
Nun geht es aber definitiv nicht mehr weiter für die VGP. An der letzten Gemeindeversammlung verkündete Hans Hirsiger, Kassier und einer der letzten Mohikaner der Partei, das Aus der Dorfpartei. «Es hat einfach keinen Sinn mehr», sagte er und rief die Jungen dazu auf, sich im Dorf zu engagieren.
Unzufrieden mit Behörden
Wenige Wochen später sitzt Hirsiger im Gemeinschaftsraum der Siedlung Rohrmatt. Hier lebt Hirsiger, gebürtiger Luzerner und ehemaliger Laborleiter am Pathologischen Institut der Uni Bern, seit mehr als dreissig Jahren. Vor ihm liegen dicke Ordner: Versammlungsprotokolle, Broschüren, Briefe aus vierzig Jahren, die Geschichte der VGP.
Unzufriedenheit hatte zur Gründung der VGP geführt, Unzufriedenheit mit den Behörden, die «unkompetent» die Gemeindeversammlung geleitet und «Fragen aus dem Souverän nicht geschätzt» hatten. So heisst es in einem Brief des Gründers und späteren Präsidenten Sam Hunziker, aus dem Hirsiger zitiert.
Deshalb gründeten 1977 ein paar Männer und Frauen eine unabhängige Partei. Das Vorbild war eine gleichnamige Gruppierung in Lyss. Die Mitglieder verstanden die VGP auch als Gegenpart zur SVP, die damals die einzige Partei im Dorf war. Heute gibt es zudem eine SP.
Die schwierigen Finanzen
Vor wenigen Jahrzehnten gab es in Kaufdorf noch viele Herausforderungen. Da waren vor allem Gemeindefinanzen, die in den 90er-Jahren arg aus dem Lot gerieten. Pro Einwohner betrugen die Schulden 9000 Franken. Der Ehemann der damaligen VGP-Gemeindepräsidentin wollte eine Stiftung gründen, um das Finanzloch zu stopfen. «Ein Dorf wird verkauft», berichtete die Zeitschrift «Beobachter». Die Stiftung kam letztlich nicht zustande, doch die reiche Zürcher Gemeinde Küsnacht schickte 10 000 Franken ins Gürbetal.
Neben den Finanzen gaben auch die Wasserversorgung, der Kindergarten oder die Ortsplanung zu reden. Bei diesen Themen mischte sich die VGP ein, verschickte Flugblätter, organisierte Veranstaltungen. Sie wollte dafür sorgen, dass die Leute am Dorfleben teilnehmen, mitreden, sich engagieren. «Heute geht es dem Dorf wieder sehr gut», sagt Hirsiger – auch dank dem Engagement der VGP.
Undankbare Kleinarbeit
Zu den besten Zeiten hatte die Vereinigung um die 40 Mitglieder. Einmal stellte die Partei vier von fünf Gemeinderatsmitgliedern. Aber meistens waren es eben nur wenige Personen, die im Vorstand die Arbeit verrichteten. «Das Gemeinwesen funktioniert nur durch die Menschen», sagt Hirsiger.
Schon 1995 wurde erstmals ernsthaft über eine Auflösung diskutiert. Und das ungenügende Engagement sei immer mal wieder ein Thema gewesen, sagt Hirsiger. «Aber dafür muss man eine politische Ader haben.» Das gilt nicht nur für die Arbeit in einer Partei, sondern auch in den Behörden. Hirsiger nennt Gründe: «Die politische Kleinarbeit ist uninteressant, man kann keine grossen Würfe machen, sie ist in den seltensten Fällen ein Sprungbrett für politische Karrieren.»
Kulturelles Engagement
Die VGP war nie nur eine politische Partei. Sie organisierte viele kulturelle Anlässe: einen «Kreativabend» zum Thema «Wunschdorf Kaufdorf», Spaziergänge durchs Dorf, eine Besichtigung der Dorfschmiede, Sprachzirkel, ein «Café philosophique», zum Beispiel mit Hans Saner. «Es waren schöne Anlässe, aber meistens war das Interesse gering.» Auch gab die VGP die Zeitschrift «Dr Choufdorfer» heraus, die bis heute existiert.
Anfang des letzten Jahres startete Hirsiger eine Umfrage. Wie es mit der VGP weitergehen solle, das war die Frage an einen kleinen Personenkreis. «Ich erhielt gerade mal drei Antworten.» Da merkte er, dass es Zeit ist, die VGP zu beerdigen.
Wie sagte Hans Hirsiger doch kürzlich zur Gemeindeversammlung: «Es hat einfach keinen Sinn mehr.»
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch