«Es gibt keinen Grund, die Menschen aufzuhetzen»
Schriftstellerin Sibylle Berg erklärt, wieso sie das Referendum gegen Sozialdetektive ergreifen will – auch wenn die Linke davor zurückschreckt.

Was ist falsch am Gesetz, das die Überwachung von verdächtigen Bezügern von Sozialversicherungsleistungen erlaubt?
Das neue Sozialüberwachungsgesetz ist infam. Es stellt jeden Schweizer, jede Schweizerin unter Generalverdacht. Es richtet sich eben nicht gegen wenige IV-Betrüger, was als Klassifizierung und Abwertung schon unmenschlich genug wäre, in einem Land, das jeden Steuerbetrüger milder behandelt, sondern es öffnet ein Höllentor. Schon morgen können Sie und ich, jeder, der in der Schweiz AHV, Krankengeld, Zusatzleistungen empfängt, von privaten Spitzeln nach Stasi-Manier überwacht werden. Ihre Wohnung durchs Fenster gefilmt, Ihr Fahrzeug mit Peilsendern verfolgt, Ihre Gespräche belauscht, Ihr Intimleben fotografiert. Ohne richterlichen Beschluss. Nach Gutdünken der Kasse. Es ist der Beginn einer Diktatur des Kapitals.
Wie würden Sie den Missbrauch bei den Sozialversicherungen bekämpfen?
Er wird ja bereits bekämpft. Nur nicht nach privatwirtschaftlichem Gutdünken, sondern polizeilich und richterlich. Dem Land gehen Milliarden durch Steuerbetrüger und seltsame Briefkastenfirmen in Panama verloren, aber machen wir doch ein Gesetz, das absegnet, dass fast jeder nun bald sechs Monate auf Schritt und Tritt überwacht werden kann.
Sie lancieren das Referendum gemeinsam mit dem Anwalt Philip Stolkin und dem Jungpolitiker Dimitri Rougy. Wie haben Sie drei zusammengefunden?
Wir haben uns im Netz gefunden, wie man das heute so macht. Wir haben uns aufgeregt. Sozusagen hat uns unsere Aufregung zusammengebracht. Dimitri ist dann aktiv geworden. Er ist das Herz und der Motor der Aktion.
«Wir kämpfen gegen fast übermächtige Feinde»
Die linken Parteien verzichten auf ein Referendum – sie rechnen sich geringe Chancen aus. Wieso glauben Sie, eine Abstimmung gewinnen zu können?
Ich glaube, bei diesem Referendum geht es nicht um links oder rechts, sondern um die Frage: Wollen wir private Überwachung? Wollen wir als nächstes eine private Polizei und Armee? Ich bin im Moment optimistisch, dass es uns gelingt, die Menschen darüber aufzuklären, was dieses Gesetz wirklich meint. Ein Abbau der Menschenrechte. Und wer es quasi formuliert hat: die Versicherungen.
Unterschriften zu sammeln und einen Abstimmungskampf zu führen, kostet viel Geld. Wo wollen Sie dieses auftreiben?
Wir haben innerhalb von 24 Stunden 13'000 Stimmzusagen erhalten. Wenn es so weitergeht, bin ich verhalten optimistisch. Wir kämpfen gegen fast übermächtige Feinde: milliardenschwere Unternehmen. Das wird eine David-gegen-Goliath-Geschichte, um mal bei der Bibel und Ostern zu bleiben. Wir brauchen Glück. Und ein paar Wunder.
Wie werden Sie Ihre schriftstellerischen Fähigkeiten einsetzen, um die Stimmbürger auf Ihre Seite zu ziehen?
Wir arbeiten in der Gruppe zusammen. Es ist nicht mein Referendum, ich bin nur Teil des Anfangsteams. Wir entscheiden zusammen, und jeder trägt bei, was er kann. Ich kann zum Beispiel nicht gut rechnen, darum vielleicht die Naivität, es gegen alle Logik zu versuchen.
Sie besitzen seit 2012 die Schweizer Staatsbürgerschaft. Wie wichtig ist es Ihnen, politisch mitbestimmen zu können?
Ich lebe die längste Zeit meines Lebens in der Schweiz. Die Schweiz ist ein grossartiges Land. Mit eines der schönsten und angenehmsten, die ich kenne. Ihre Bevölkerung ist modern, freundlich und grosszügig. Es gibt keinen Grund, die Menschen hier gegeneinander aufzuhetzen, Misstrauen und Hass zu säen. Dagegen werde ich mit meinen minimalen Mitteln eintreten. Das tue ich, weil ich das Land und seine Menschen sehr gern hab. Sie sind mir Familie, und dafür kämpft man eben.
Sind Sie mit der Schweizer Politik im Allgemeinen zufrieden?
Das Thema Gleichstellung ist unterrepräsentiert. Und die sich daraus ergebenden Schwächen in der Kinderbetreuung, die in unserem Land hauptsächlich Frauensache ist. Ich fand die Politik lange Zeit im Rahmen dessen, was eine Demokratie leisten kann, recht gut. In letzter Zeit beobachte ich das Ausspielen der Bevölkerung gegeneinander – die Kosovaren, die Armen, die Schmarotzer, die Deutschschweiz gegen den Rest des Landes, und erstaunlicherweise geht es sehr oft gegen die nicht so einkommensstarken Teile der Bevölkerung. Das ist doch auffällig. Die nicht so einkommensstarken Teile der Bevölkerung, das sind aber fast 90 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer. Sie gegeneinander aufzubringen, ist ein populistischer Trick, der von Steuererleichterungen für Superreiche, der Aushöhlung des Heimatschutzes und des Grundrechts auf Privatheit ablenkt.
Werden Sie dereinst im Nationalrat sitzen?
Sehr sicher nicht. Ich bin nicht so diplomatisch. Ich bewundere die Geduld von Politikerinnen ausserordentlich. Ich hoffe, wir finden an meiner statt weiterhin gute Leute.
Das Interview wurde schriftlich geführt.
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