Es drohen Seilbahnen, Parkplätze und Funparks in Schutzgebieten
SVP, FDP und CVP wollen den Schutz von wertvollen Landschaften und Ortsbildern lockern.

Sechs Jahre lang lag der Plan im Bundeshaus in einer Schublade. Sechs Jahre lang lobbyierten die Heimat- und Umweltschutzverbände dagegen an — in der Hoffnung, der Plan werde nie realisiert. Und ebenso lang zögerten seine Befürworter die Umsetzung immer wieder hinaus. Doch jetzt hat die Taktiererei ein Ende: Am Gründonnerstag hat die Umweltkommission des Ständerats ihren Plan für eine Gesetzesänderung publiziert – mit potenziell tief greifenden Folgen für den Natur- und Heimatschutz.
In der Öffentlichkeit ging diese Ankündigung wegen der Osterpause unter; die Natur- und Heimatschutzverbände reagieren jedoch alarmiert. Die Gesetzesänderung gefährde die wertvollsten Naturgebiete, warnen Pro Natura, WWF und der Vogelschutz in einer Stellungnahme. Von «einem weiteren Tiefpunkt in der Kaskade von Abbauplänen beim Natur-, Landschafts- und Heimatschutz», spricht Adrian Schmid, Geschäftsführer des Schweizer Heimatschutzes.
Konkret ändern will die Kommission das Natur- und Heimatschutzgesetz. Dieses hat zum Ziel, die Schweizer Natur- und Kulturdenkmäler «ungeschmälert» zu erhalten. Geschützt werden einerseits 162 Gebiete, die im Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler (BLN) erfasst sind – vom Rheinfall über das Val Verzasca bis zum Creux du Van. Und andererseits 1274 Ortschaften, die im Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder von nationaler Bedeutung (ISOS) verzeichnet sind.

In diesen geschützten Gebieten und Ortschaften sind schwere bauliche Eingriffe heute bei der Erfüllung einer Bundesaufgabe nur möglich, wenn «Interessen von ebenfalls nationaler Bedeutung» dies rechtfertigen. Diese hohen Anforderungen will die Kommission jetzt lockern: Neu sollen solch schwere bauliche Eingriffe bereits möglich sein, wenn bloss «kantonale Interessen» dies verlangen. Wenn bauliche Eingriffe bloss mit kantonalen oder kommunalen Aufgaben begründet werden, dann sind die rechtlichen Hürden bereits heute tiefer.
«Nicht legitimiert»
Der Vater dieser Idee ist der Zuger FDP-Ständerat Joachim Eder. Er hat die Gesetzesrevision vor sechs Jahren mit einer parlamentarischen Initiative angestossen. Sein Anliegen ist es, den Ermessensspielraum der Kantone zu stärken und den Einfluss der Eidgenössischen Natur- und Heimatschutzkommission (ENHK) zurückzustufen. Die ENHK ist oft matchentscheidend für die Realisierung oder Nichtrealisierung eines Projekts in einem Schutzgebiet. In Zukunft sollen ihre Gutachten nur noch « e i n e der Grundlagen für die Entscheidbehörde» sein. Neben der ENHK träfe die Gesetzesänderung auch die Eidgenössische Kommission für Denkmalpflege (EKD): Auch ihre Gutachten hätten künftig weniger Gewicht. Das ist ein Nebeneffekt, den Eder mit seiner Initiative laut eigenen Angaben gar nicht beabsichtigt hatte.
Die ENHK-Gutachten seien heute «allzu sakrosankt», kritisiert Eder. Obwohl die vom Bundesrat ernannte ENHK «demokratisch nicht legitimiert» sei, habe sie mehr Gewicht als alle Regierungs-, Parlaments- oder Volksentscheide in den Kantonen. Anders als früher verfügten heute aber auch die Kantone über professionelle Umweltschutzbehörden, sagt Eder. Diese seien selber in der Lage, «im Spannungsfeld von Nutzungs- und Schutzinteressen verantwortliche Entscheide zu treffen». Keinesfalls gehe es ihm darum, den Natur- und Heimatschutz zu schwächen, betont Eder. Denn die Anforderungen an Eingriffe in Objekte von nationaler Bedeutung blieben ja bestehen. Für die bürgerliche Mehrheit in der Umweltkommission ist jedoch klar, was für einen Effekt ihre Gesetzesänderung haben soll: Eingriffe in Schutzgebieten sollen «vermehrt bewilligungsfähig werden», wie sie schreibt. Für diese Lockerung sprachen sich in der Kommission alle SVP-, FDP- und CVP-Vertreter aus. Die Vertreter der SP, der Grünen und der BDP opponierten vergeblich.
Keinesfalls gehe es ihm darum, den Natur- und Heimatschutz zu schwächen, betont Eder.
In einem erläuternden Bericht illustriert die Kommission anhand von Beispielen, welche konkreten Folgen die Gesetzesrevision haben könnte:
Seilbahn. 2014 kam die ENHK zum Schluss, dass die geplante neue Hahnenseebahn bei St. Moritz ein schwerwiegender Eingriff in eine national geschützte Landschaft wäre. Damit konnte das Projekt nicht weiterverfolgt werden.
Deponie. Eine Inertstoffdeponie im Kanton Zug konnte wegen eines schwerwiegenden Eingriffs in das BLN-Objekt «Zugersee» nicht realisiert werden.
Kraftwerk. Auch ein grösseres Pumpspeicherkraftwerk im Walliser Zwischbergental kam wegen eines Gutachtens der ENHK nicht zustande.
Parkplatz. Aufgrund des heutigen Gesetzes hat das Waadtländer Kantonsgericht im Dorf St. Saphorin mitten im geschützten Lavaux die Errichtung eines oberirdischen Parkings verboten.
Mindestens ein Teil dieser abgelehnten Projekte — so die Botschaft der Kommission — könnten mit dem neuen Gesetz realisiert werden.
Referendum angekündigt
Herbert Bühl, bis Ende 2017 Präsident der ENHK, nennt weitere umstrittene Projekte, die mit dem neuen Gesetzestext wohl bewilligt werden könnten:
Wellness-Oase. 2004 sollte unmittelbar neben dem ehemaligen Kloster St. Katharinental bei Diessenhofen (TG) in einer BLN-Landschaft und einem Isos-Ortsbild direkt am Rhein ein Thermal- und Vergnügungsbad realisiert werden. Das Projekt scheiterte, weil sich unter anderem die ENHK dagegen aussprach.
Bankgebäude. Die Obwaldner Kantonalbank wollte ihren Sitz am Dorfplatz von Sarnen erweitern. Gutachten der EKD und der ENHK kamen zum Schluss, dass die Bauten nicht mit dem historischen Ortsbild vereinbar wären.
Vor allem Bergbahnen und andere Tourismusanlagen könnten nach der Gesetzesrevision leichter realisiert werden, prognostiziert Bühl. Denn gerade in solchen Fällen liessen sich leicht kantonale Interessen, vor allem Wirtschaftsinteressen, geltend machen. Und innerhalb geschützter Ortsbilder kämen im Zuge der Verdichtung auch Baudenkmäler «stärker unter Druck», so Bühl. Marcus Ulber von Pro Natura glaubt zudem, dass sich die Kantone künftig «eine Art Wettlauf gegen den Natur- und Heimatschutz liefern» werden. Es drohe «eine Nivellierung gegen unten».
Die Kommission schickt ihren Plan nun in die Vernehmlassung. Für Heimatschutz-Chef Schmid ist aber bereits heute klar: Falls das Parlament diese Gesetzesrevision verabschiede, sei «ein Referendum unausweichlich».
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