Es brodelt in Westminsters Brexit-Kessel
Die Abgeordneten haben ihre Arbeit wieder aufgenommen. Die Opposition bereitete Boris Johnson dabei einen unangenehmen Empfang.

Nach dem am Dienstag erfolgten einstimmigen Urteil des Supreme Court, wonach die fünfwöchige Parlamentssuspendierung, die die Königin auf den Rat ihres Premierministers hin angeordnet hatte, «widerrechtlich» war, strömten gestern mehr als 600 ungläubig staunende Abgeordnete in «ihr» House of Commons zurück.
Die Labour-Parlamentarier hatten sich abends zuvor in Brighton in den Zug nach London gesetzt, um schon vor dem offiziellen Ende ihres Jahresparteitags wieder auf den grünen Bänken des Unterhauses Platz nehmen zu können.
Grössere Probleme mit einer raschen Rückkehr hatte Premierminister Boris Johnson, der sich am Dienstag in New York aufhielt. Er wusste schon beim Rückflug nach London, dass daheim sämtliche Oppositionsparteien sowie die Landesregierungen von Schottland und Wales seinen Rücktritt forderten.
«Er hat die Queen, das Volk und das Parlament getäuscht», wetterte auf seiner Mittwochs-Frontseite der linksliberale «Guardian», das führende Blatt der Opposition. Selbst die «Financial Times», sonst eher zurückhaltend in ihren Kommentaren, begrüsste Johnson bei seiner Rückkehr mit einem Paukenschlag sondergleichen. Unter den gegebenen Umständen würde «jeder Premier mit einem Rest an Respekt für die britische Demokratie und für die Verantwortungen seines Amtes seinen Rücktritt einreichen».
Ein «Verfassungscoup»
Die der Tory-Rechten und einer harten Brexit-Linie verpflichteten Zeitungen hingegen sahen die Schuldigen ganz woanders. Die «Mail» fragte: «Wer regiert eigentlich in Grossbritannien?» Und die «Sun», das meistverbreitete Boulevardblatt, nannte den Rechtsstreit im Namen seiner Leser eine «Farce».
Damit folgte die Rechtspresse nur der Klage des Premierministers, dass zu viele finstere Kräfte in Grossbritannien den Brexit verhindern wollten. Ex-Brexit-Minister David Davis warf den Richtern am Mittwoch vor, sie mischten sich viel zu viel ein «in die Politik».
Steve Baker, einer der radikalen Führer der Brexiteers in der Tory-Fraktion, warnte dunkel: «Die Richter sollten wissen, dass die Leute wirklich zornig sind.» Johnsons Minister für parlamentarische Fragen, Jacob Rees-Mogg, ging gar so weit, von einem «Verfassungscoup» seitens des Supreme Court zu sprechen.
Johnsons Gegner seien «besessen vom Verlangen», den Brexit zu «sabotieren»
Erschrocken versicherte sein Kabinettskollege Robert Buckland, der Justizminister, dass natürlich Recht und Ordnung immer und unter allen Umständen respektiert werden müssten und die Unabhängigkeit der Justiz heilig sei. Der Tory-Rebell und frühere Kronanwalt Dominic Grieve meinte, Johnson trample wie ein Elefant im Porzellanladen der britischen Demokratie herum. Dem müsse schleunigst «ein Ende gesetzt werden».
Wie sie das anstellen wollen: Darüber sind sich Rebellen und Oppositionsparteien allerdings nicht ganz einig. Einige der heimgekehrten Abgeordneten suchten bei der ersten Zusammenkunft gestern, den Premier und seine Minister zur Rede zu stellen, weitere bislang geheim gehaltene Brexit-Informationen aus der Regierung herauszupressen und zusätzliche Sicherheiten dafür zu schaffen, dass es am 31. Oktober zu keinem No-Deal-Fiasko kommt.
Durchblick gewinnen
Scharfe Kritik musste sich dabei schon mal Kronanwalt Geoffrey Cox gefallen lassen, der als oberster Rechtsexperte der Regierung seinem Kabinettschef einen Freibrief für die Parlamentsvertagung ausgestellt hatte. Er revanchierte sich für die Anwürfe mit einer wütenden Attacke gegen das Parlament, das er «ein totes Parlament» und eine «echte Schande» nannte.
Unterdessen mühten sich Regierung und Opposition, in den Dämpfen des brodelnden Brexit-Kessels von Westminster etwas mehr Durchblick zu gewinnen. Vieles blieb gestern noch unklar – wann Neuwahlen kommen, ob es doch noch einen No-Deal-Brexit gibt, ob der Parteitag der Konservativen zu Beginn der kommenden Woche überhaupt stattfinden kann.
Am Abend erschien endlich auch der Premierminister selbst im Parlament, und es kam zu tumultuösen Szenen. Boris Johnson zeigte sich keineswegs schuldbewusst. Es sei «höchste Zeit, den Brexit durchzusetzen» und den Willen des Volkes nicht länger mit «Gerichtsmanövern» oder parlamentarischen Tricks zu blockieren.
Den lärmenden Rücktrittsrufen der Opposition hielt der Regierungschef entgegen, seine Gegner seien «besessen vom Verlangen», den Brexit zu «sabotieren». Er selbst aber werde «das Volk nicht verraten». Wenn das Parlament ihn loswerden wolle, solle es ihm doch einfach das Misstrauen aussprechen.
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