Er zielte direkt aufs Herz
Ulay wurde berühmt als Kunstpartner und Geliebter von Marina Abramovic. Ein Nachruf.

Vor vier Jahren fand der Künstler, der normalerweise immer durch ein «Und» mit seiner langjährigen Partnerin Marina Abramovic verbunden wurde und der sich selbst nicht ohne Bitterkeit den «bekanntesten unbekannten Künstler» nannte, noch einmal eine grosse alleinige Würdigung in der Frankfurter Schirn.
«Ulay Life-Sized» stand am Eingang, Ulay lebensgross. Für die Ausstellung warb ein Video, in dem der Mann von der Aura eines fernöstlichen Gurus erklärte, dass die menschliche Identität ein kleines Segelboot auf der Mitte des Ozeans sei – mit dem Anker von der Grösse eines Tankers.
Dieses lebenslange Kämpfen mit der eigenen Identität, stellvertretend für die menschliche Selbstwahrnehmung schlechthin, war Ulays Thema, das philosophische Grundbrummen unter all seinen Arbeiten, bei den eigenen grossformatigen Fotoarbeiten sowie in den extremen Performances, die Ulay mit Marina Abramovic 12 Jahre lang wagte.
Berühmt wurde Frank Uwe Laysiepen, der 1943 in Solingen geboren wurde, aber noch allein. Allerdings war Marina Abramovic 1976 schon mit der Kamera dabei, als Ulay in die Neue Nationalgalerie marschierte, einen Spitzweg von der Wand riss, um ihn nach Kreuzberg zu bringen, wo er ein paar Wochen die Wohnung einer türkischen Arbeiterfamilie schmückte.
Dieser Kunstraub im Geiste elitenkritischer Emanzipationspolitik war sicherlich eine der radikalsten Aktionen performativer Protestkultur jener Epoche. Doch weniger der Politik blieb Ulay anschliessend treu als dem Fordern von Grenzen, eigener wie jener der Gattung «Kunst». Seine Exzessduette mit Marina Abramovic haben wegen dieser eindrücklichen Schonungslosigkeit zu einigen der bekanntesten Dokumente der Performancekunst des 20. Jahrhunderts geführt. «Rest Energy» etwa, wo die zwei einen gespannten Bogen hielten, dessen Pfeilspitze auf Abramovics Herz zielte. Oder «Imponderabilia» 1977 in Bologna, als die beiden nackt im Türrahmen einer Galerie standen, sodass jeder, der hineinwollte, sich in der Berührung beider Körper durchzwängen musste.

Und schliesslich die grosse Abschiedswanderung auf der Chinesischen Mauer, als Ulay und Abramovic bereits getrennt waren, laut ihrer Biografie, weil Ulay sie ständig betrogen hatte. Von zwei Seiten des Verteidigungsbauwerks marschierten sie 1988 los, um sich nach 2500 Kilometer Wanderung zu treffen und erschöpft zu verabschieden.
Ein paar Jahrzehnte später kehrte die extreme Intimität dieser alles fordernden Grenzbeziehung noch einmal an die Öffentlichkeit zurück. Nachdem Ulay Abramovic zwischenzeitlich wegen Urheberrechten verklagt hatte, sass er zu ihrer sichtlichen Überraschung bei der Ausdauerperformance «The Artist Is Present» 2010 im New Yorker Museum of Modern Art plötzlich auch auf dem Stuhl. Sie weinte, sie nahmen sich an den Händen, aber wirklich versöhnt haben sie sich erst Jahre später.
Zu viele Verletzungen, die nicht nur an die Grenze gingen, sondern darüber hinaus, waren der Preis für eine Kunst, die mit Schmerz und extremer Selbstüberwindung entstanden war.
Einer, der alles wagte
Ulay gelang es im Anschluss an ihre spektakuläre Trennung nicht, die gleiche bildmächtige Präsenz zu erreichen, die Marina Abramovic zu einer der angesehensten Künstlerinnen der Gegenwart machte. Seine weitere Auseinandersetzung mit der Identität als grösster menschlicher Sicherheit, die völlig unsicher ist, bekam mehr eine private, fast intime Note. Seine Fotocollagen und Selbstverwandlungen wirkten etwas rätselhaft, zitierend, sich selbst mehr als grimmigen Schrat und Guru ins Zentrum der Kunst setzend denn als Radikaler der Bedeutungsfragen.
Das erschuf zwar eine eigene Bildsprache, das Opus eines forschenden Alltagsweisen. Aber Ulay erfüllte damit nicht mehr die Erwartungen eines Kunstmarktes, der von den Ereignissen der Vergangenheit auf neue Sensationen hoffte. So ist Ulays kleines Segelboot mit dem riesigen Anker jetzt mit 76 Jahren in Ljubljana doch ein wenig halb vergessen gesunken.
Aber er wird als einer der wichtigsten Kunstpartner überhaupt in die Kunstgeschichte eingehen, der alles wagte, für die Liebe, die Kunst und die philosophische Frage, was der Mensch ist und wozu er fähig ist.
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