Elite-Universitäten schliessen Schweizer Studenten aus
Schluss mit Austauschsemestern in Cambridge: Welche Nachteile die Schweizer Erasmus-Übergangslösung mit sich bringt.

Die nackten Zahlen könnten den Schluss zulassen, dass es eine dieser typisch schweizerischen Erfolgsgeschichten ist: 2014 wurde die Eidgenossenschaft nach der Annahme der Masseneinwanderungsinitiative vom EU-Bildungsprogramm Erasmus+ ausgeschlossen. Trotzdem bewilligte der Bund 2016 die Finanzierung für rund 4800 Studienaufenthalte im Ausland. Deutlich mehr als in den Vorjahren.
Auch die Kostenbilanz stimmt: Die 2014 vom Bund eiligst entwickelte Erasmus-Übergangslösung, die darauf basiert, dass hiesige Hochschulen individuelle Mobilitätspartnerschaften mit europäischen Hochschulen abschliessen, kostet rund 30 Millionen Franken pro Jahr. Die Erasmus-Vollmitgliedschaft wäre sicher doppelt so teuer. Und so ist es nicht erstaunlich, dass Bildungsminister Johann Schneider-Ammann (FDP) heute im Bundesrat beantragen wird, den erneuten Anschluss an Erasmus zu vertagen und die Schweizer Übergangslösung bis 2020 zu verlängern.
Doch die nackten Zahlen verraten nicht alles. Yves Flückiger, Rektor der Universität Genf, sagt: «Quantitativ konnte die studentische Mobilität erhalten bleiben, qualitativ leider nicht.» Tatsache ist nämlich, dass verschiedene europäische Spitzenuniversitäten die Schweizer Hochschulen seit 2014 fallen liessen. Manche bieten keine Austauschplätze mehr an, andere weniger als früher. Die Folge: Hiesige Studierende, die ein Auslandsemester absolvieren wollen, müssen mit weniger renommierten oder weniger attraktiven Hochschulen vorliebnehmen.
Kein Zugang zu Cambridge
Das spektakulärste Beispiel ist sicher die Cambridge University, die in Rankings regelmässig zur besten Universität Europas gekürt wird. Seit 2014 sind ihre Pforten für Schweizer Studenten generell verschlossen. Die altehrwürdige Bildungsstätte akzeptiert die Schweizer Erasmus-Übergangslösung nicht. Zu spüren bekommen hat dies etwa die ETH. «Cambridge will keine Austauschverträge abschliessen, die nicht dem Erasmus-Vertragsregelwerk entsprechen», bestätigt ETH-Sprecherin Franziska Schmid. Deshalb habe die Cambridge University 2014 den klassischen Austausch beendet. Schmid fügt allerdings an, dass der Studierendenaustausch wegen des in Cambridge üblichen Trimestersystems nie besonders intensiv gewesen seien.
Verschlechtert hat sich auch der Austausch zwischen der Universität Genf und der Universidad Complutense de Madrid, der grössten Universität Spaniens. Diese Hochschule sei früher bei den Studenten sehr beliebt gewesen, sagt Marco Cattaneo, Sprecher der Universität Genf. Nach 2014 habe sich aber die Erneuerung der Mobilitätsverträge zunehmend verzögert. «Dieses Jahr schickt die Universität Genf keine Studierenden mehr nach Madrid», sagt Cattaneo.
Bei Vertretern der Studentenschaft ist das Problem bekannt. Josef Stocker, Co-Präsident des Verbands der Schweizer Studierendenschaften (VSS), vermutet, dass es noch viele weitere Beispiele gibt. «Die Schweizer Hochschulen kommunizieren leider nicht offen, wenn eine Partnerschaft ausläuft.» Womöglich wollten sie sich keine Blösse geben. Doch dass selbst die ETH betroffen ist, zeige, wie gefährlich die Situation sei. «Die Schweiz droht ihren Zugang zu europäischen Spitzenunis zu verlieren.» Geht es nach Stocker, könnte eine Verlängerung der Erasmus-Übergangslösung diese Gefahr noch verschärfen. Die Sondervereinbarungen bedeuteten für Partner-Hochschulen viel Bürokratie. «Wenn sich jetzt abzeichnet, dass die Übergangslösung des Bundes auf längere Sicht bestehen bleibt, könnten Partner-Unis die Geduld verlieren.»
«Am Schalter anstehen und ein Ticket kaufen»
Genau dies befürchtet auch Yves Flückiger von der Universität Genf. Bis 2014 hätten Schweizer Studenten quasi ein Generalabonnement für den europäischen Studentenaustausch besessen. «Heute müssen wir für jeden Aufenthalt am Schalter anstehen und ein Ticket kaufen.» Diese Verhandlungen könnten die Partner ermüden. «Aber ohne diese Kooperation mit Eliteuniversitäten verlieren die Schweizer Hochschulen nach und nach an Sichtbarkeit.»
Weniger dramatisch schätzt man die Situation im Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) ein. «Es ist natürlich bedauerlich, wenn eine Spitzenuniversität wie Cambridge keine Schweizer Austauschstudenten mehr aufnimmt», sagt SBFI-Sprecher Martin Fischer. Doch handle es sich hier um einen von ganz wenigen Einzelfällen. In rund 3500 Fällen hätten Schweizer Hochschulen erfolgreich Mobilitätspartnerschaften abschliessen können. Fischer glaubt nicht, dass die Attraktivität des Hochschulstandorts Schweiz leidet: «Eine ganze Reihe von Indikatoren belegt, dass das internationale Interesse an unseren Institutionen und ihren Leistungen in Lehre und Forschung nach wie vor gross ist.»
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