Leserreise in die ArktisEisbären und Orcas – so faszinierend ist das Nordmeer
Mit der Hanseatic Spirit durch arktische Gewässer von Island nach Spitzbergen. Eine Expeditionskreuzfahrt, die man nie mehr vergisst.

Hinterm Horizont, dort, wo die Sonne in der Mitte der ersten Nacht ein letztes Mal das Meer berührt, verbirgt sich der Nordpol. Von nun an müssen Thomas Bucheli, TV-Chefmeteorologe, und Claude Nicollier, der erste und einzige Schweizer Astronaut, Begriffe wie Sonnenuntergang und Sternenhimmel aus ihrem Wortschatz streichen. Denn dieser Tag wird kein Ende haben, und der einzige Stern, der von nun an unablässig um den Horizont kreist, ist die Sonne.

Bucheli und Nicollier bilden neben der Polar-Spezialistin Birgit Lutz und SRF-Legende Patrick Rohr für die nächsten zehn Tage das prominente Expertenquartett an Bord der Hanseatic Spirit. Sie ist im Hafen von Reykjavik ausgelaufen und hat Kurs Nord eingeschlagen. Entlang von Islands Westküste nähert sich das Expeditionsschiff dem Polarkreis.

Der Ruf, der alle elektrisiert: «Wale!»
Papageitaucher, Lummen und Alken, die an den Steilfelsen nisten, reklamieren schreiend und krächzend den Luftraum für sich, während die Menschen einander die Feldstecher reichen, damit alle das Spektakel über ihren Köpfen beobachten können. Und keiner ahnt, was im Meer abgeht – bis plötzlich vom Panoramadeck vielstimmig und einhellig der Ruf «Wale!» alle elektrisiert.

Es sind zumeist Orcas, die hier auftauchen; gelegentlich lässt sich aber auch ein Grönland- oder Blauwal sehen, das grösste Lebewesen aller Zeiten auf diesem Planeten.
Die Hanseatic Spirit ist eines von drei baugleichen Luxusschiffen, mit denen die Reederei Hapag-Lloyd vor zwei Jahren ein neues Kapitel in der touristischen Seefahrt eingeleitet hat. Moderne Elektrodiesel-Aggregate, mit schwefelarmem Gas betrieben, treiben die jüngste Generation von Expeditionsschiffen an. Sie belasten die sensible Umwelt der polaren Regionen deutlich weniger als herkömmliche Kreuzfahrtschiffe, dank ihrer relativ geringen Abmessungen sind sie so wendig, dass sie auch in die abgelegensten Fjorde vorstossen – und zugleich so stark, dass sie locker geschlossene Eisdecken brechen können.
Derlei Manöver bei rasch wechselnden Wetter- und Eisverhältnissen gehören in den polaren Regionen zur Tagesordnung. Vom Schiffsführer auf der Brücke verlangen sie höchste Konzentration – und vor allem sehr viel Erfahrung. Das verspricht Nervenkitzel und Abenteuer, derweil das kulinarische Angebot in den drei Bordrestaurants auch bei verwöhnten Gaumen keine Wünsche offenlässt.
Von den Wikingern zu den Abenteurern
Am Ende der ersten Woche erreicht das Schiff die Vulkaninsel Grimsey; die alte Wikinger-Hochburg liegt auf dem Polarkreis in Islands äusserstem Norden. Abgesehen von musealen Hinterlassenschaften der wilden Ureinwohner fasziniert die Insel durch ihre artenreiche Tierwelt und eine beeindruckende Vielfalt an geologischen Formationen.
Von Island, der Insel, die als friedlichstes Land der Welt gilt, geht die Reise weiter nordöstlich zum nördlichsten bewohnten Archipel der Welt: Spitzbergen war einst wegen seiner reichen Bodenschätze und Jagdgründe ein beliebter Tummelplatz für Walfänger und Abenteurer, die auch in Steinkohlebergwerken ihr Glück suchten.
Heute ist das Inselreich unter norwegischer Verwaltung mit russischer Tradition ein Multi-Kulti-Schmelztiegel, der seinesgleichen sucht: Extremsportler, die von hier aus den Nordpol erreichen wollen, Wissenschaftler, die Forschung unter Permafrost-Bedingungen betreiben, und Touristen, die sich von Schlittenhunden über endlose Eislandschaften ziehen lassen wollen, begegnen einander in der Barentz-Bar zum Aperitif.

Regelmässig stossen die Passagiere der Expeditionsschiffe zu ihnen. Eben noch haben sie die grössten und schönsten Gletscher der Welt bestaunt. Jetzt genehmigen sie sich zwischen Shopping und Abflug noch einen letzten Drink.
Hinter der Theke hängt ein Schild an der Wand mit der Aufforderung: «Take off your shoes and leave your gun at the door!» Das sei ja wohl ein Witz, lacht einer der neuen Gäste. «Im Gegenteil», erklärt der Stammgast neben ihm. «Wir sind hier anständige Menschen, darum ziehen wir die Schuhe aus, wenn wir zu Besuch sind. Aber bei uns leben noch mehr Eisbären als Menschen. Darum stellen wir das Gewehr neben die Schuhe!»
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