Einmal Euro, immer Euro
Im Falle eines Grexit droht eine Klageflut: Die EU-Verträge sehen einen Austritt aus der Währungsunion nicht vor.
Grexit – die wohl bekannteste Wortschöpfung im griechischen Schuldenstreit beruht streng genommen auf einem Missverständnis. Denn ein mit Grexit gemeinter Komplettaustritt des Landes aus der Eurozone ist auf Grundlage der EU-Verträge nur schwer vorstellbar, so lange es Mitglied der EU ist.
Das gleiche gilt für das Kunstwort Graccident, wenn damit auf einen ungewollten, unfallartigen Hellas-Austritt aus dem Währungsraum angespielt wird. Auf diesen Umstand wies auch der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis hin, nachdem die Eurogruppe eine Verlängerung des aktuellen Hilfsprogramms abgelehnt hatte und Griechenland damit auf die Staatspleite zusteuert.
Das Zauberwort lautet «unwiderruflich»
Kurz kann man die EU-Verträge in der Frage des Grexit so zusammenfassen: Einmal Euro, immer Euro. Denn das Zauberwort lautet «unwiderruflich». Darauf bezog sich auch der Vizepräsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Vitor Constancio, als er im April vor dem Währungsausschuss des EU-Parlaments sagte: «Der EU-Vertrag sieht nicht vor, dass ein Land formal, rechtlich aus dem Euro ausgeschlossen werden kann.» Nach Ansicht der EU-Kommission wird diese Einschätzung von zahlreichen Stellen in den EU-Verträgen untermauert.
So erklärten die teilnehmenden Staaten bereits im Protokoll des Vertrags von Maastricht von 1992 die «Unumkehrbarkeit» der Gemeinschaft zur dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion. Diese dritte, unumkehrbare Stufe umfasst auch den Willen nach einer gemeinsamen Währung.
Ausnahmen für Briten und Dänen
Im Vertrag von Lissabon von 2007 heisst es dann in Artikel 3: «Die Union errichtet eine Wirtschafts- und Währungsunion, deren Währung der Euro ist.» Damit sind alle EU-Staaten an die Einführung gebunden. Nur für Grossbritannien und Dänemark, deren Regierungen mit dem Euro nichts zu tun haben wollen, wurden Ausnahmen gemacht.
In mehreren Teilen des Vertrags zur Arbeitsweise der EU wird die Verpflichtung zur Einführung des Euro untermauert (so etwa in Artikel 119, Absatz 2). Vor allem Artikel 140 des Lissabon-Vertrages ist dabei von Bedeutung, weil in Absatz 3 die Festsetzung des Wechselkurses von der bisherigen Landeswährung zum Euro «unwiderruflich» festgelegt wird.
Klageflut bei Grexit wahrscheinlich
Für Griechenland, das seit 1981 Mitglied der EU ist und 2001 dem Euroraum beitrat, hätte es daher wohl unabsehbare rechtliche Folgen, wenn die Regierung entgegen aller Beteuerungen doch aus dem Währungsraum austreten sollte. Denn damit verstosse Athen auch gegen die EU-Verordnung 974/98 vom 2. Mai 1998 über die Einführung des Euro, sagt Matthias Kullas vom Zentrum für Europäische Politik in Freiburg.
«Dann könnte jeder in- und ausserhalb Griechenlands, der eine Forderung in Euro hat und die in der neuen Währung bezahlt werden soll, die Zahlung in Euro einklagen.» Denn für jeden Staatsbediensteten oder Rentner wäre es wohl ein immenses Verlustgeschäft, wenn er in einer neuen griechischen Währung und nicht in Euro ausgezahlt würde.
Eine Einbahnstrasse
Die Verordnung 974/98 sei zwar als Einbahnstrasse zum Euro ausgestaltet, wäre aber – wenn überhaupt – die wahrscheinlichste Grundlage für eine «Austrittsverordnung», sagt Christoph Herrmann, Staats- und Europarechtler an der Universität Passau. So könne Griechenland aus dem Anhang der Verordnung gestrichen werden. Eine solche Rechtsänderung könne an einem Wochenende und ohne Beteiligung des EU-Parlaments bewältigt werden.
Herrmann äusserte sich dennoch skeptisch zu dieser Option, denn ob sich der Gerichtshof der EU (EuGH) auf eine solche Interpretation von Artikel 140 einlassen würde, sei nicht abzuschätzen. «Sollte es dennoch zu Grexit oder Graccident kommen (...), so würde dies eine Flut von Prozessen nach sich ziehen und auf Jahre erhebliche Rechtsunsicherheit in Griechenland mit sich bringen.»
Austritt aus EU und sofortiger Wiedereintritt?
Nach Ansicht von CEP-Experte Kullas besteht rechtlich gesehen die einzige Möglichkeit für die griechische Regierung darin, aus der EU – und damit aus dem Euro – auszutreten. Laut Artikel 50 des Vertrags von Lissabon ist ein solcher, selbstgewählter Abschied aus der Union möglich. Griechenland könnte dann versuchen, sofort wieder Mitglied der EU zu werden, ohne den Euro zu übernehmen.
«Das halte ich aber nicht für wahrscheinlich», fügt Kullas hinzu. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz räumte denn auch am Rande des EU-Gipfels am vergangenen Donnerstag ein: «Wir haben in den Verträgen keine Antwort auf die Frage, ob ein Land in der EU bleiben kann, das die Eurozone verlassen muss.»
Wie andere Experten geht Kullas im Fall einer Staatspleite von der Einführung von Kapitalverkehrskontrollen in Griechenland aus. Auch EZB-Vize Constancio brachte diese Option vor dem EU-Parlamentsausschuss ins Spiel und verwies auf das Beispiel Zypern, wo solche Beschränkungen angesichts der Bankenkrise 2013 vorübergehend eingeführt wurden, ohne dass das Land den Euroraum verliess. Die Kontrollen, die Zypern Anfang April wieder vollständig aufhob, können nur von einer Regierung, nicht von der EZB oder anderen EU-Organen beschlossen werden.
Eine Art Parallelwährung wahrscheinlich
Für Griechenland ist nach Meinung von Experten nach einem Zahlungsausfall und den Kapitalverkehrskontrollen die Ausgabe von Schuldverschreibungen wahrscheinlich. «Diese nicht verzinsten Euro-Schuldscheine wären dann eine Art von Parallelwährung», sagt etwa Kullas. Das Vertrauen der Menschen in die Scheine wäre gering, die Auswirkungen auf die wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse im Land massiv.
Bei dem Szenario ist Griechenland weiter Mitglied des Euroraums. Der Finanzminister würde also weiter an Sitzungen der Eurogruppe teilnehmen und die Notenbank Teil der EZB bleiben. Eine korrekte Wortschöpfung für diesen Fall fehlt bisher.
SDA/rar
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