Eingesperrt in der Schweiz
Chinas Repression trifft immer häufiger auch Tibeter in der Schweiz. Mit dem Freihandelsabkommen habe sich die Situation verschlimmert, sagen Tibeter.
Seit Juli 2014 hat die Schweiz ein Freihandelsabkommen mit China. Seit Juni 2015 müssen in die Schweiz geflüchtete Tibeter akzeptieren, dass in ihren Ausweispapieren die Herkunft China steht. Wer noch Tibet als Herkunftsbezeichnung vermerkt hatte, musste diese abändern lassen. Das Staatssekretariat für Migration streitet einen Zusammenhang zum Freihandelsabkommen ab und begründet diese Massnahme als «rein administrativ».
Jampa Samdho, der heute Schweizer ist, schilderte heute Freitag vor den Medien, was die Massnahme für jene bedeutet, die keinen Schweizer Pass haben: Für Auslandreisen müssten sie sich nun auf der chinesischen Botschaft melden, um ihre Herkunft bestätigen zu lassen. Diese werde immer häufiger verweigert. «Dann sind sie wie in Tibet gefangen», sagte er. Sie können die Schweiz nicht mehr verlassen.
Zunehmend dürfe man als Tibeter auch in der Schweiz China nicht mehr kritisieren, fuhr er weiter. An der Medienkonferenz in Bern, welche die Gesellschaft für bedrohte Völker organisierte, wurden Bilder des letztjährigen Staatbesuchs von Präsident Xi Jinping gezeigt. Tibetische Kundgebungsmitglieder wurden damals von Polizisten am Demonstrieren gehindert. 2014 griffen während einer Ansprache der chinesischen Botschafterin in Basel sogar chinesische Sicherheitsleute ein und warfen eine Aktivistin zu Boden, wie ein Video belegt.
Video: Chinesische Sicherheitskräfte attackieren Demonstrantin
Für die grüne Nationalrätin Maya Graf (BL) sind solche Vorkommnisse in der Schweiz inakzeptabel: «Wegen wirtschaftlicher Interessen dürfen nie Menschenrechte eingeschränkt werden.» Doch die Schweiz biedere sich China an, seit sie vor fünf Jahren das Freihandelsabkommen abgeschlossen habe. Das sei beschämend für einen Rechtsstaat und eine Demokratie. Sie fordert den Bundesrat in einem eben eingereichten Vorstoss auf, die Entwicklungen aufzuarbeiten und dem Parlament darüber Bericht zu erstatten.
«Wegen wirtschaftlicher Interessen dürfen nie Menschenrechte eingeschränkt werden.»
Der Bundesrat verteidigte sich nach dem Staatsbesuch. Man thematisiere die Menschenrechtslage sehr wohl. Ob dieser Dialog allerdings wirksam ist, bezweifelt die Zürcher SP-Nationalrätin Barbara Gysi. In einem weiteren Vorstoss fordert sie den Bundesrat auf, er solle aufzeigen, was dieser tatsächlich gebracht habe.
China tritt forscher auf
Die Kritik am Freihandelsabkommen mit China ist nicht neu. Schon vor dessen Abschluss im Jahr 2013 bemängelten Menschenrechtsorganisationen, die Schweiz verkaufe für künftigen Profit ihre eigenen Werte. Immerhin ist in der Präambel des Abkommens die Voraussetzung erwähnt, dass die Zusammenarbeit Freiheit und Demokratie fördern soll. Bisher verlief die Entwicklung speziell auch in China in die entgegengesetzte Richtung.
Im Dezember räumte der Bundesrat in der Antwort auf einen Vorstoss selber ein, dass sich die Lage insbesondere für Minderheiten in China verschlechtert habe. Dies sieht der Nachrichtendienst des Bundes im Sicherheitsbericht 2016 ebenso. China übe wirtschaftlich wie ideologisch wachsenden Druck aus und dulde Widerspruch immer weniger. Als Folge dieser Machtpolitik nehme die Entschlossenheit der internationalen Gemeinschaft ab, von China die Einhaltung universeller Grundwerte einzufordern.
Der Bund widerspricht der Darstellung: Auf Anfrage schreibt er, das Freihandelsabkommen habe ein Forum geschaffen, an dem mit China überhaupt über solche Themen gesprochen werden könne. Er erinnerte auch daran, dass China erstmals Umweltfragen und Arbeitsstandards in einem solchen Abkommen akzeptiert habe. Zudem sei die Förderung und Durchsetzung der Menschenrechte integraler Bestandteil der Beziehungen mit China. In der Schweiz insbesondere seien diese Grundsätze sowieso garantiert. Daran ändert auch die neue Herkunftsangabe nichts. Entscheidend sei, dass sich damit «keinerlei Änderungen des Aufenthaltsstatus» ergeben hätten.
Freihandel soll «nachhaltiger» werden
Die gegenwärtige Freihandelsoffensive des Wirtschaftsministers Johann Schneider-Ammann wird einerseits von der Wirtschaft gewünscht, anderseits bleibt auch die Skepsis dagegen hoch. Erst Anfang März lehnte es der Nationalrat ab, Palmöl in ein allfälliges Freihandelsabkommen mit Malaysia aufzunehmen. Kritikpunkt hier: Palmölplantagen zerstören Regenwald und vertreiben Kleinbauern von ihren Ländereien.
Bundesrat Schneider-Ammann hat die Botschaft vernommen. Im Zusammenhang mit den laufenden Bemühungen um ein Freihandelsabkommen mit der südamerikanischen Zollunion Mercosur betonte er, man verhandle gerne «ein paar Monate» länger, wenn damit mehr Nachhaltigkeit gewährleistet werden könne.
Im Fall von China ist zumindest strittig, ob das Abkommen Fortschritte ermöglicht oder sogar Verschlechterungen gebracht hat. Für den Tibeter Samdho, der auch dem tibetischen Exilparlament angehört, beginnt soziale, ökologische und wirtschaftliche Nachhaltigkeit schon in der Schweiz: Er hofft, dass die Schweiz Tibet wieder als Herkunftsbezeichnung akzeptiert und die Reise-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit künftig besser garantiert. Es dürfe nicht sein, dass die Schweiz vor China kusche.
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