Ein Vokal-Akrobat unter der Zeltkuppel
Singt Bobby McFerrin, klingt es, als hätte er mindest einen zweiten Sänger verschluckt. Auf der Gstaader Festivalbühne bot der 60-Jährige atemberaubende Vokal-Akrobatik. Er improvisierte solo – und sogar mit dem Publikum.
«Don't Worry», Bobby, «Be Happy». Ja, glücklich ist er, der Bobby McFerrin. Er ist nunmehr 60 alt, gesund und singt. Und so wie er singt, tut es kein Zweiter. Davon lässt sich am Samstagabend im vollen Gstaader Festivalzelt ein kunterbunt gemischtes Publikum noch so gerne überzeugen. «Today's Music» nennt sich der Zyklus, in welchem das klassische Menuhin Festival seit 2002 auch Experimentellem Raum gibt. Dieser Rahmen ist für Bobby McFerrin wie geschaffen. Der Sänger, Pianist, Komponist und Dirigent aus New York hat ein Lieblingsinstrument: seine einzigartige Stimme. Und diese – sie umfasst vier Oktaven – verschlägt es dem «Gesangs-Chamäleon» eigentlich nie. Er sei einfach ein Sänger – kein Blues-, Folk-, oder Jazzsänger, sagt McFerrin über sich. Dennoch ist er weit mehr als ein simpler Barde. Mit der ihm eigenen Technik bringt er Unerhörtes zu Gehör: In Windeseile wechselt er zwischen Brust- und Kopfstimme, er imitiert, er improvisiert. Er bringt alles zum Klingen – auch seinen Brustkorb, den er unentwegt als Perkussionsinstrument einsetzt. Wer seiner Kunst mit geschlossenen Augen lauscht, glaubt, gleich mehrere Stimmen zu hören. Bobby McFerrin ist besonders live ein Erlebnis – in Gstaad als Blueser in «Sweet Home Chicago» oder auch dann, wenn er zusammen mit dem Publikum das «Ave Maria» von Bach/Gounod zum besten gibt. Wer hat noch nicht? «Don't Worry, Be Happy», sein Ohrwurm und grösster kommerzieller Erfolg aus dem Jahr 1988, hat in McFerrins «Solo Improvisations» keinen Platz – und wird auch nicht vermisst. Der charismatische Amerikaner mit den langen Rastalocken gibt in Jeans und T-Shirt den Entertainer. Das ist ebenso sympathisch und ehrlich wie herrlich direkt. «Wer kommt zu mir und tanzt?» Sechs Besucherinnen und ein Besucher lassen es sich nicht nehmen, auf das Angebot des zehnfachen Grammy-Gewinners ein- und zu ihm auf die Bühne emporzusteigen. Sie tanzen ihre improvisierten Tänze, er singt seine improvisierte Begleitung. Binnen Sekunden vermag er die unbekannten Themen aufzunehmen und auszudrücken. Sein Soloauftritt avanciert zu einem Improvisations-Jekami auf hohem Niveau. Ein einziges Mal verschlägt es dem Vokalkünstler die Stimme dann doch: Dann, als eine Konzertbesucherin auf der Bühne Heimeliges aus den Bernbiet anstimmt: «Dür ds Oberland uf, dür ds Oberland ab, da han i zwöi Schätzli – wär chouft mir eis ab» Üppig fällt ihr Applaus aus, nicht geringer ist die Freude McFerrins. Tja: «Don't Worry», Bobby, «Be Happy». Glücklich scheint er, der Vokal-Akrobat unter der Gstaader Zeltkuppel. Und happy kann sich schätzen, wer diesen Abend mit ihm teilen darf. Jürg Spielmann>
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