Schutzabkommen zur Hohen See«Ein überwältigender Erfolg für den Meeresschutz»
Über Jahrzehnte wurde verhandelt. Jetzt hat sich die Weltgemeinschaft zu einem historisch einmaligen Vertrag für die Meere jenseits nationaler Hoheitsgebiete durchgerungen.

Nach 20 Jahren Verhandlungen hat die Welt erstmals ein Abkommen zum Schutz der Hohen See. Am frühen Sonntagmorgen Schweizer Zeit verständigten sich die Verhandler in New York auf einen Vertrag, der erstmals auch Regeln für die Meere jenseits nationaler Hoheitsgebiete aufstellt – immerhin zwei Drittel der Weltmeere. Genau dieser Umstand hatte die Verhandlungen so zäh gemacht, es geht um ein Gebiet, das niemandem gehört und auf das gerade deshalb alle Anspruch erheben. Nach geltendem Seerecht können sie auf der Hohen See, die alle Meeresgebiete umfasst, die weiter als 200 Seemeilen von der Küste entfernt liegen, nach Belieben fischen, navigieren und wissenschaftliche Forschung betreiben.
Mit dem neuen Abkommen werden jetzt erstmals verbindliche Regeln für die Hohe See möglich: Meeresschutzgebiete, Umweltverträglichkeitsprüfungen und andere Massnahmen sollen bedrohte Arten und Lebensräume zukünftig besser schützen und bewahren. Das Abkommen sei eine Art Klammer zwischen dem Naturschutzabkommen, das Ende letzten Jahres in Montreal beschlossen wurde, und dem Seerechtsübereinkommen, sagt Alexander Proelss, Professor für internationales See- und Umweltrecht an der Uni Hamburg.
In Montreal hatten sich die Staaten im vergangenen Dezember darauf verständigt, mindestens 30 Prozent der Land- und Seefläche unter Schutz zu stellen. Mit dem Abkommen wird das erstmals auch für Gebiete auf Hoher See möglich – und dieser Schutz kann dann auch kontrolliert werden.
«Das ist ein historischer und überwältigender Erfolg für den internationalen Meeresschutz», sagt die deutsche Umweltministerin Steffi Lemke. Sie selbst sei davon «tief bewegt».
Umweltorganisationen sind erfreut
Ähnlich begeistert äussern sich Umweltorganisationen und andere Expertinnen und Experten. «Das Hohe-See-Abkommen ist ein riesiger Erfolg. Es schliesst gefährliche Rechtslücken und zeigt uns, dass ein Richtungswechsel im internationalen Naturschutz gelingen kann, durch den der weltweite Artenschwund an Tempo verliert», sagt Karoline Schacht von der Umweltschutzorganisation WWF. «Zum Paris-Moment für das Klima gesellt sich heute der New-York-Moment für die Meere.» Till Seidensticker, Meeresschutzexperte bei Greenpeace, erklärt: «Heute ist ein historischer Tag für unsere Meere und den Schutz, den sie in Zeiten von Klimakrise und Artensterben so dringend brauchen», sagt er.
Die Verhandlungen über das Abkommen begannen schon 2004 – unter dem Dach des bereits 1982 geschlossenen UNO-Seerechtsabkommens. Ursprünglich sollten sie im August des vergangenen Jahres abgeschlossen werden. Doch die Staaten vertagten sich – um sich nun im März 2023 endlich zu einigen. Neben der Umsetzung der 30-Prozent-Ziele für Schutzgebiete wollen die Staaten damit nun auch mehr Geld und Aufmerksamkeit für die Meeresbewohner investieren.
Fast zehn Prozent der Lebewesen in den Weltmeeren sind vom Aussterben bedroht.
In New York gab es lange Diskussionen darüber, wie streng der Schutz in den neuen Gebieten sein soll. Nach wie vor gibt es darüber keine Einigung. Klar war aber das Ziel: Die Schutzgebiete sollen die Meeresbewohner, die aus verschiedenen Gründen stark unter Druck stehen, entlasten und dazu beitragen, das Artensterben zu stoppen.
Nach Angaben der Weltnaturschutzunion IUCN sind fast zehn Prozent der Lebewesen in den Weltmeeren vom Aussterben bedroht. Besonders dramatisch ist die Situation der Haie und Rochen: Mehr als drei Viertel aller Arten sind vom Aussterben bedroht. Auch viele der insgesamt 91 Walarten stehen stark unter Druck.

Eine der Hauptursachen für den Artenschwund in den Weltmeeren ist die Überfischung: Mehr als 34 Prozent der weltweiten Fischbestände gelten bereits als überfischt. Auch die Verschmutzung der Ozeane macht den Meeresbewohnern schwer zu schaffen: Düngemittel führen zu massiven Algenblüten auf dem Meer und letztlich zu sogenannten Todeszonen auf dem Meeresgrund, in denen es keinen Sauerstoff gibt.
Und jede Sekunde landet so viel Plastik im Meer, wie ein Kehrichtauto transportieren kann. Eine tödliche Falle für Tiere, die sich darin verheddern oder es mit Nahrung verwechseln und dann mit einem Magen voll Plastik verhungern.
Das Abkommen von New York soll die Bewohner der Meere auch vor negativen Einflüssen des Tiefseebergbaus schützen. Auf dem Meeresgrund der Tiefsee lagern an verschiedenen Stellen sogenannte Manganknollen. Da Mangan ein wichtiger Rohstoff für die Produktion etwa von Batterien ist, haben sich viele Länder bereits «Claims» auf dem Meeresgrund abgesteckt, um mit der Förderung beginnen zu können, sobald es erlaubt ist. Umso wichtiger könnten die Umweltverträglichkeitsprüfungen werden, für die das Abkommen ebenfalls Regeln aufstellt. Damit müsste für neue wirtschaftliche Nutzungen der Weltmeere zunächst nachgewiesen werden, dass sie keinen weiteren Schaden anrichten.
Mindestens 60 Staaten müssen das Abkommen ratifizieren
Bis in die letzten Stunden zogen sich Diskussionen über Finanzierungsfragen und die Nutzung genetischer Ressourcen der Meere. Ein wahrer «Krimi» habe sich entfaltet, berichten Verhandler. In den letzten Stunden der Konferenz, die am Sitz der Vereinten Nationen in New York stattfand, wandte sich noch einmal der Vertreter der Palau-Inseln an seine «müden, aber engagierten» Mitverhandelnden: «Lasst uns das Schiff in den Hafen bringen.» Dort ist es nun, nach kritischen Stunden, angelangt.
Die Erleichterung ist deshalb gross. Der Vertrag bringe die Regeln des Meeresschutzes endlich ins 21. Jahrhundert, jubelte die Hochsee-Allianz, ein Bündnis von Naturschutzverbänden. «Es war eine sehr lange Reise zu diesem Vertrag», sagt Allianz-Chefin Rebecca Hubbard. Nun gehe es aber an die Ratifizierung. Man schaue dabei vor allem auf die 52 Vorreiterstaaten der sogenannten High Ambition Coalition, zu der auch die Schweiz gehört.
Die allein werden aber noch nicht ausreichen. Mindestens 60 Staaten müssen das Abkommen ratifizieren, damit es in Kraft tritt. Und danach müssen die Regeln auch noch eingeführt und deren Einhaltung überprüft werden. Das Abkommen müsse nun schnell umgesetzt werden, sagt auch der Meeresbeauftragte der deutschen Bundesregierung, Sebastian Unger. Er hatte die deutsche Delegation in New York geleitet. «Wir brauchen die Ozeane als Verbündete zur Bekämpfung der Klima- und Biodiversitätskrisen», so Unger.
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