Koordinaten des Hasses im FussballEin Transparent zum Ukraine-Krieg schockiert Italien
Ultras von Hellas Verona wünschen Neapel ein russisches Bombardement. Und bringen damit ein altes, nie gelöstes Problem wieder aufs Tapet.

Natürlich kann man Idioten auch einfach ignorieren, vielleicht ist das sogar oft die bessere Strategie. Aber diesmal?
Im schönen Verona haben Ultras des örtlichen Vereins Hellas am Wochenende vor dem Heimspiel gegen die SSC Napoli ein Transparent an die Brüstung eines Parkplatzes vor dem Stadion Bentegodi gehängt, das nun in seltener Einhelligkeit das ganze Land in Empörung vereint. Auf ein langes weisses Leintuch hatten die sogenannten Fans die Nationalfahnen von Russland und der Ukraine gemalt, dazu die geografischen Koordinaten 40°50’N 14°15’E und die Signatur «Curva Sud». Die Koordinaten stehen für das Zentrum Neapels, dem die Südkurve offenbar ein russisches Bombardement wünschte.
Lange blieb das Transparent nicht hängen, aber das war auch nicht nötig: Die Ultras fotografierten es und stellten es ins Netz, so war es bald überall. Der dramatische Krieg in Europa als Sujet für eine Rivalität im Fussball?
Die Schlimmsten der Schlimmen
Nun muss man dazu sagen, dass ein Teil der Ultras von Hellas Verona notorische rechtsextreme Idioten sind. Nicht die einzigen in Italien, beileibe nicht. Aber von den Schlimmen sind sie wahrscheinlich die Schlimmsten. Und natürlich ist ihnen der Süden des Landes, der Mezzogiorno, eine beliebte Projektionsfläche für Gehässigkeiten. Gegen Neapel und die Neapolitaner gibt es überall in Italien wüste Chöre, der nationale Fussballverband hat dafür neben dem klassischen Rassismus die Kategorie «territoriale Diskriminierung» definiert.
Doch vielleicht ist keine Rivalität im Calcio virulenter als die zwischen agitierten Veronesi und Napoletani. Auch am Sonntag hallten wieder die üblichen Sprechchöre durch das Stadion. In einem davon wünscht man den Neapolitanern, dass der Vesuv sie mit «Feuer wasche», in einem anderen, dass ein Erdbeben sie erschütterte.
Klar, die Fans im Gästesektor, diesmal waren es 3000, lassen die Verschmähungen nicht einfach auf sich sitzen, sie antworten in der Regel mit der Verunglimpfung einer jungen Frau aus der Literatur, die Verona zum Prädikat Stadt der Liebe verholfen hat: Julia aus William Shakespeares Tragödie «Romeo und Julia». Der Chor geht so: «Giulietta è ’na zoccola.» Julia ist eine Hure. Geht natürlich auch nicht, aber was soll man sagen? Giulietta ist eine Romanfigur.
Viel Empörungsrhetorik – aber ob das reicht?
Das Transparent mit der Anlehnung an den Krieg sei «jenseits von allem», schreibt der «Corriere dello Sport» auf seine erste Seite in der Montagsausgabe und lässt darauf zwei Seiten zum Thema folgen. Normalerweise verhandelt die Zeitung da nach dem Wochenende die Resultate des Spieltags. «Für einmal kommen der Fussball, die Spiele, die Tabelle erst später.» In Verona sei eine Grenze überschritten worden, die man für unüberschreitbar gehalten habe. Und wie das in Italien immer ist, wenn die Empörung leicht zu teilen ist, beteiligt sich die Politik ausgiebig daran. Nicht selten rufen die am lautesten, die sonst mit Hasssprech auffallen. In diesem Fall meldete sich auch der italienische Aussenminister zu Wort: Luigi Di Maio, aus Pomigliano d’Arco bei Neapel, sprach von einer «widerlichen Botschaft», die da auf dem Transparent gestanden habe.
Und nun? Im «Corriere della Sera» schreibt Maurizio De Giovanni, ein erfolgreicher Krimiautor aus Neapel, «Sonntag für Sonntag stösst der rassistische und feige Bauch dieses Landes seinen üblen Gestank aus, ohne dass jemand den Finger rührt». Tatsächlich sind die Folgen für die, die den Benimmkodex des Verbands brechen, sehr überschaubar. Einzelne Ultras werden mal mit Stadionsperren belegt, auch mit mehrjährigen. Und die Vereine erhalten Geldstrafen, wenn mal wieder der Vesuv angerufen oder ein Spieler vom Balkan als «zingaro», Zigeuner, beschimpft wird: 10’000 Euro für die Verletzung von Artikel 28. Manchmal verfügt die Sportjustiz auch die Schliessung einer Kurve, für eines oder zwei Spiele. Aber viel bringt das nicht.
In Verona ist es sogar sehr wahrscheinlich, dass die Sache mit dem unsäglichen Transparent für den Verein folgenlos bleibt: Das Leintuch hing schliesslich draussen, vor dem Bentegodi, und nicht drinnen, wo es in dessen Verantwortungsbereich gefallen wäre. Allenfalls gibt es Strafen für die Chöre, die man sonst wahrscheinlich überhört hätte – als Kompensation. Hellas Verona distanzierte sich übrigens von der Aktion der «Curva Sud». Man sei jetzt und für immer gegen Hass, Gewalt und Diskriminierung, hiess es.
Das Communiqué hörte sich rituell an, sie holen jedes Mal dasselbe hervor, das Transparent selbst wurde darin nicht einmal erwähnt. «L’Arena», die Zeitung aus Verona, schreibt in einem Kommentar, die Zeit für billige Rhetorik und einfache Morallektionen sei vorbei. «Die Ermittler haben alle Mittel, um die zu identifizieren, die das Transparent gemalt haben, und die, die es fotografiert haben.» Die ganze Stadt müsse sich von diesen Leuten distanzieren. Verona will sich nicht mehr für sie schämen müssen.
Fehler gefunden?Jetzt melden.