Ein Schulzimmer im Freibad
In diesem Sommer werden im Weyerli Freiluftdeutschkurse angeboten. Trotz der ungezwungenen Atmosphäre herrscht Disziplin: Die Teilnehmer erscheinen auch bei schlechtem Wetter und machen sogar freiwillig Hausaufgaben.

Eine Gruppe Menschen sitzt konzentriert an mehreren zusammengeschobenen Tischen im Freibad Weyermannshaus. Vor ihnen liegen orange Blätter, auf denen ein Spielfeld aufgezeichnet ist. Sanáa, die ursprünglich aus Syrien stammt und seit mehreren Jahren in der Schweiz lebt, wirft den Würfel und fährt anschliessend mit ihrer Figur auf das Feld mit der Aufschrift «Muttersprache». «Welches ist deine Muttersprache?», fragt sie ihre Sitznachbarin in gebrochenem Deutsch. Mizgin, eine junge Frau, die ihr erstes Kind unter dem Herzen trägt, antwortet zögernd: «Meine Muttersprache ist Kurdisch.» Wenige Meter entfernt springt ein Junge ins Bassin.
Die beiden Frauen nehmen am Deutschkurs in der Badi teil – ein ungewöhnliches Angebot, das dieses Jahr erstmals im Freibad Weyermannshaus angeboten wird. Damit erfüllt die Stadt eine Forderung von Stadträtin Leena Schmitter (GB): 2015 reichte sie einen Vorstoss ein, in dem verlangt wird, dass das Sommerloch sinnvoller genutzt wird. Nun setzt Bildungsdirektorin Franziska Teuscher (GB) die Forderung um, noch bevor das Postulat im Stadtrat behandelt worden ist.
Bikini neben Kopftuch
«Ursprünglich forderte der Vorstoss, dass die Deutschkurse an der Aare stattfinden», erklärt Jörg Moor, stellvertretender Leiter des städtischen Schulamts. Verschiedene Überlegungen hätten aber dazu geführt, dass das Angebot nun im Weyerli stattfindet: Einerseits liegt das Freibad im Westen der Stadt und damit in jenen Stadtteil, in dem der Anteil an Fremdsprachigen und Vermittlungspersonen zur Bekanntmachung des Angebots am höchsten ist. Andererseits werde das Freibad im Gegensatz zur Aare hauptsächlich von Ansässigen besucht, wodurch sich das Laufpublikum in Grenzen hält. Und zu guter Letzt bietet das Schwimmbad ein Nichtschwimmerbecken – ein wichtiger Faktor, da viele Migranten nicht schwimmen können.
Geschwommen wird während des Deutschkurses ohnehin nicht. Manche würden die Gelegenheit zwar für einen anschliessenden Sprung ins Becken nutzen, die meisten kämen aber gezielt für den Deutschkurs und entsprechend ohne Badezeug ins Weyerli. Erst einmal sei eine Teilnehmerin in Schwimmkleidung erschienen. «Das war ein lustiges Bild», erinnert sich Jrène Sofia Lemp, «eine Brasilianerin im Bikini sitzt neben einer Frau mit Kopftuch – und niemand stört sich daran.»
Jrène Sofia Lemp ist eine von zwei eidgenössisch zertifizierten Lehrerinnen, die den aussergewöhnlichen Deutschkurs leiten. Zu ihrer Gruppe gehören die Fortgeschritteneren, Kollegin Susanna Hofer betreut die Anfänger. «Viele aus meiner Gruppe haben bereits in ihrem Herkunftsland studiert», meint Lemp, «sie sind sich Lernen also gewöhnt und fragen sogar nach Hausaufgaben.»
Auch bei schlechtem Wetter
Der unkonventionelle Austragungsort bringe auch Nachteile mit sich, betont Hofer. Die Geräuschkulisse etwa sei bedeutend grösser als in einem geschlossenen Zimmer – zum Glück verfügen die beiden Lehrerinnen über ausreichend Stimmvolumen. Auch vor Ablenkungen ist man im Freibad nicht gewappnet: Immer wieder schreiten Badibesucher durch das imaginäre Klassenzimmer. Weil für den Gratiskurs keine Anmeldung nötig ist, werden die Stunden zudem so gestaltet, dass ein Thema jeweils am gleichen Tag abgeschlossen wird.
Die meisten der rund 30 Teilnehmer erscheinen regelmässig zur Freiluftstunde, die an jedem Wochentag zwischen 15.30 und 17 Uhr stattfindet. «Die Leute sind so motiviert, dass sie sogar bei Regen auftauchen», sagt Jrène Sofia Lemp. Ursprünglich sei geplant gewesen, den Deutschkurs nur bei schönem Wetter durchzuführen – mittlerweile lasse man sich aber auch durch Regen nicht davon abbringen. Dann werde die Stunde einfach ins Schwimmbadrestaurant verlegt.
Der Kurs dauert noch bis zum 11. August. «Das Ziel ist es, dass danach jede Teilnehmerin und jeder Teilnehmer ohne Probleme an einem Deutsch-Grundkurs teilnehmen kann», so Lemp. Im Weyerli werden nicht nur herkömmliche Lehrmittel verwendet; viele der Unterlagen bereiten die Lehrerinnen selbst vor. Es werden nicht nur Verben konjugiert, sondern auch Nahrungsmittel benannt. «Zur Integration gehört es schliesslich auch, die Kultur und Tradition des Landes zu kennen», meint Lemp mit ihrem stets präsenten Lächeln.
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