Ein Popstar, auch posthum
Die Römer und ihre Päpste: In der Hommage an Johannes Paul II. zur schnellsten Seligsprechung in der Kirchengeschichte schwingt viel Nostalgie mit.
Von Oliver Meiler, Rom Für das Gelingen eines Pontifikats, für dessen Aura, ist es nicht unwesentlich, dass der katholische Kirchenfürst den Römern gefällt. Das ist sogar sehr wichtig. Johannes Paul II. gefiel den Römern. Wenn man in diesen Frühlingstagen genau sechs Jahre nach seinem Tod durch die Stadt geht, auch durch die schmucklose Peripherie, lacht einem der Pole allenthalben von grossen Postern zu, die die Stadtverwaltung an die Mauern kleben liess, dazu meist ein legendäres, im römischen Dialekt vorgetragenes Zitat Karol Wojtylas: «Dàmose da fà, semo Romani!» (Packen wir's an, wir sind Römer!) Wer hat hier Joseph Ratzinger schon mal so volksnah erlebt? An den Römer Souvenirständen, an denen die Devotionalien und Bildchen des «Papa polacco» immer schon besser liefen als jene seines Nachfolgers, des «Papa tedesco», hängen nun noch mehr Kalender des Ersteren. Die Taxis und die Busse tragen die Initialen seines Kirchennamens «JP II» und einige Daten, als handelte es sich um die Konzertankündigung eines Popstars. Und so verwegen ist der Vergleich nicht, wenn auch dieser Popstar die Massen selbst posthum noch zu mobilisieren vermag. Mag die Welt auch zweifeln An diesem Wochenende begeht die katholische Kirche in einer Serie von Megaevents mit wohl rund eineinhalb Millionen Teilnehmern die Seligsprechung von Johannes Paul II. Keiner vor ihm schaffte die Anerkennung schneller, was nicht wirklich erstaunt, nachdem es ja schon am Tag seines Todes Chöre gab, die für ihn gar eine sofortige Heiligsprechung, die höchstmögliche Weihe, forderten: «Santo subito!» Der Vatikan, bedrängt vom Kirchenvolk, hielt sich zwar an seine Traditionen, beschleunigte aber den Prozess der Seligsprechung. Für den Vorabend der sonntäglichen Hauptzeremonie auf dem Petersplatz, zu der sich Könige und Prinzen, Staats- und Regierungschefs aus der ganzen Welt angemeldet haben, wurde der Circus Maximus gebucht. 200 000 Pilger werden in der grossen Naturarena erwartet. Und sie werden dem Zeugnis einer 50-jährigen französischen Nonne lauschen. Marie Simon-Pierre Normand will 2005 wie durch ein Wunder (der Begriff ist zentral) und unter dem gewissen Eindruck von Johannes Pauls Beistand aus dem Jenseits von Parkinson geheilt worden sein. Mag die Welt (und wohl die meisten Ärzte hienieden) auch an diesem und vielen anderen Wundern und Erscheinungen zweifeln – es war nötig für die Seligsprechung. Mindestens ein weiteres Wunder braucht es dann einmal für die Heiligsprechung. Eine Fülle von Kontrastbildern In den Buchhandlungen liegen nun Bücher auf, die dem Werk des Papstes gewidmet sind, etwa jenes des Historikers Alberto Melloni, der im 27-jährigen Pontifikat «fünf Perlen» ausgemacht hat. Dazu gehören Wojtylas historischer Besuch in der Römer Synagoge und das Mea culpa der Kirche zum Jubiläumsjahr 2000. Die grossen Tageszeitungen interviewen seitenlang Vatikanisten und Kardinäle zu ihren Erinnerungen an Johannes Paul, und natürlich sind die alle schön und rührend. Kritik und Schatten werden ausgeblendet. Das italienische Staatsfernsehen zeigt Sonderprogramme mit Mitschnitten unter anderem aus grossen, fröhlichen und bunten Messen aus der Zeit, als «JP II», den sie einst auch den «Athleten Gottes» nannten, noch durch die Welt tourte, auch schon mal echte Popstars zu sich auf die Bühne bat und damit der Jugend flattierte. Und in jedem Beitrag schwingt diese Nostalgie mit nach einem Papst der Nähe, nach einem Papst des Volkes, nach einem wie Johannes Paul II. Wenn die Römer von Benedikt XVI. reden, dann reden viele von ihnen noch immer vom Neuen, dem «Papa nuovo». Sie werden nicht warm mit ihm. Er bleibt ein hölzerner Mann der Schriften, der Theologie, der Elite. Es fehlt ihm diese Aura, die ihm nur die Römer geben können mit ihrem Pathos für Päpste, die sie ins Herz schliessen, denen sie in Massen ihre Aufwartung machen, hysterisch zuklatschen, eine mächtige Bühne bieten. Analyse Seite 13 Ein Riesenposter des populären, polnischen Papstes hängt auch am Petersplatz im Vatikan. Foto: Stefano Rellandini (Reuters)
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