Vom Bauern zum Transportsanitäter Ein Leben zwischen Traktor und Ambulanz
Mit 50 Jahren ging Heinz Krieg wieder zur Schule und bildete sich zum Transportsanitäter aus. Dem Alltagstrott sagte er damit Ade – dem Traktor nicht.

Im Stützpunkt des Spitals Aarberg steigt Heinz Krieg in seine Ambulanz ein. An seinen Diensttagen bringt ihn das Fahrzeug Insel 43 an Unfallorte im Berner Seeland oder zu den Wohnungen der Bevölkerung. Dorthin, wohin ihn das Einsatzgerät in der Mittelkonsole navigiert. Die Zentrale gibt auch das Tempo vor – je nach Dringlichkeit des Notfalls. «Bei meinen ersten Einsätzen erhöhte sich mein Puls, sobald die Sirene heulte. Mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt.»
Heute steht auf dem kleinen Bildschirm neben dem Funk «ausser Dienst». Heinz Krieg fährt aus der Garage, steuert die Einfahrt zur Hauptstrasse an, blinkt nach rechts, bekommt den Vortritt und ein Handzeichen eines abbremsenden Autofahrers geschenkt. Das passiere ihm oft, auch ohne Blaulicht, sagt er.
Das Einsatzgebiet von Heinz Krieg beginnt hier im Städtchen Aarberg, beinhaltet die zahlreichen ins Seeland gewürfelten Dörfer mit ihren Bauernhöfen und zieht sich bis an den Neuenburgersee. Nach Gampelen – zum Beispiel – dauert eine Fahrt rund 25 Minuten. «Bei einem Ernstfall muss ich schon ziemlich Gas geben», sagt Heinz Krieg in seiner knallgelben Sanitäteruniform, während die Bilder, die von der Windschutzscheibe gerahmt werden, von Betongrau ins Grasgrüne kippen.
Ein Haus, ein Leben
Ein Traktor tuckert heran, Heinz Krieg stellt seine Ambulanz an den Strassenrand, lässt ihn kreuzen und hebt die Finger zum Gruss, der Bauerlehrling vom Nachbarbetrieb grüsst zurück. Links der Strasse liegen die Ackerfelder, die Heinz Krieg und seine Familie bewirtschaften. Zieht er seine Uniform am Feierabend aus, wird er vom Transportsanitäter zum Landwirt. Er pflanzt auf seinem Ackerland Raps an, düngt die Maisfelder, pflegt das Getreide und die Sonnenblumenfelder. Am Ende der Felder, die rund 15 Hektaren gross sind, in Ostermanigen etwas ausserhalb der Ortschaft Detligen, steht das Bauernhaus, das Heinz Krieg seit seiner Geburt ein Dach über dem Kopf geboten hat. Das Bauernhaus ist die grösste Konstante in seinem Leben.
Dort, wo seine Frau und er zwei Kinder grossgezogen haben und heute der Kater Tom mit einem verletzten Pfötchen über die Küchenfliesen humpelt, ist Heinz Krieg aufgewachsen. Wo früher noch das Strohlager war, ist ein gemütliches Zuhause entstanden, in dem sich Heinz Krieg erholt. Von der Arbeit in der Ambulanz, aber auch von der Arbeit auf dem Traktor.
Der berufliche Weg von Heinz Krieg hat fast so viele Kurven wie die Passstrasse, die auf die Grimsel hinaufführt. Als ältester Sohn einer Bauernfamilie machte er die Lehre zum Landwirt. «Das war klar. Ich habe gar nicht in Erwägung gezogen, etwas anderes zu lernen.» Allein auf dem Traktor sitzen, auf den Feldern hin und her fahren, das wollte er nicht ausschliesslich tun. Die Arbeit wäre zu einsam, der Betrieb zu klein.
Heinz Krieg arbeitete auf vielen Baustellen, machte dann die Lehre als Sanitärinstallateur, verlegte Bodenheizungen, schloss Küchen an, renovierte Bäder. Manchmal ersetzte er bei älteren Damen auch eine Glühbirne im Keller. Den Kontakt und den Austausch mit anderen Leuten hat er immer geschätzt, er engagierte sich in der Feuerwehr und in der Dorfmusik. «Ein Leben reicht nicht aus, um alles auszuprobieren.» Die Erziehung der Kinder teilte er mit seiner Frau – Jobsharing in einem Bauerndorf Mitte der Neunzigerjahre: «Die Frauen haben mich beim Einkaufen mit den Kindern angeschaut wie einen bunten Hund.»
«Die Freude an der Arbeit kehrte zurück»
Die Arbeit auf den Feldern hat ihn nie losgelassen: «Die leeren Wagen zum Feld stellen und die Ernte einbringen, das sind schöne Gefühle.» Seine Äcker will er im Blick haben, sie sind ein Magnet, der ihn im Sommer kaum verreisen lässt. Die Landwirtschaft wurde trotzdem immer mehr zum Hobby, wie er sagt, oder etwas anders formuliert: zum Nebenerwerb. Die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen: Denn auf den Feldern findet er Ruhe. Erhöht die Sirene der Ambulanz seinen Puls, fährt ihn das Geratter des Traktorenmotors wieder herunter.
Exakt an seinem 50. Geburtstag hatte Heinz Krieg wieder einen ersten Schultag. Im Klassenzimmer sassen nicht nur Mitschülerinnen und Mitschüler, die mehrere Jahrzehnte jünger waren als er, sondern da waren auch Bedenken. Bald machten diese Platz für den neuen Schulstoff, die besonderen Erlebnisse – etwa als sie eine Rettung mit der Air Zermatt simulierten – und die Begeisterung für das Neue. «Die Ausbildung gab mir einen Aufwind, neuen Elan, die Freude und die Spannung an der Arbeit kehrten zurück.»
Der Alltagstrott motivierte ihn am stärksten, um das Kapitel zum Transportsanitäter aufzuschlagen. «Als Sanitärinstallateur ging ich arbeiten, machte mein Ding.» Keine Überraschungen, die ihn forderten, sondern der Terminplan der Firma, der ihm vorschrieb, dass er nun zwei Tage Rohre der Bodenheizung zu verlegen hatte. Diese Gewissheit hat er heute nicht mehr. Am Morgen kann er folgende Fragen nicht beantworten: Mache ich einen Transport von Aarberg in die Insel? Muss ich jemandem helfen, der einen epileptischen Anfall am Bahnhof hat? Brauche ich die Unterstützung der Rega? Oder: Wann habe ich heute Feierabend?
Die richtige Balance
Jeder Tag ist anders. Am Anfang forderte das viel von ihm. Die Familie, die Schule, die Arbeit und der Bauernhof, einiges ergänzte sich, anderes kam sich in die Quere. «Es gab Tage, an denen hatte ich Schule und wusste: Jetzt wäre der ideale Zeitpunkt, um anzusäen. Da hat es mich manchmal schon gekribbelt.»
Mittlerweile ist der 55-Jährige in seinem Job zum Routinier geworden. In ruhigen Stunden trainieren er und seine Kolleginnen und Kollegen auf dem Stützpunkt die möglichen Notfallszenarien. «Komme ich zu einem Notfall, muss ich das richtige Programm abspielen, das wir vorher einstudiert haben. Jeder im Team muss seine Aufgabe erfüllen.»
Was Heinz Krieg am Nachmittag erwartet, weiss er am Morgen nicht. Auf dem Acker hingegen wird er nicht überrascht. Der Seiltanz zwischen Ambulanz und Traktor ist für Heinz Krieg kein Wagnis, sondern sein Akt der Lebenskunst.
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