Ein kolossales Denkmal gemeinsam neu entdeckt
Die grossen, grauen Wohnblöcke in den Siedlungen Gyrischachen und Lorraine sind erhaltens- und schützenswert. Warum das so ist, erklärte Architekt Heinz Kurth.

Sie haben vier oder acht Stockwerke. Die grössten Gebäude bestehen aus 116 Wohnungen. Sie sind aus Beton und Glas sowie ein bisschen aus Holz. Die Siedlung Gyrischachen ist keine Augenweide und erinnert an Plattenbauten.
Auch das benachbarte Lorrainequartier ist von aussen grau und ziemlich abweisend, da es fast keine Fenster hat. Und doch sind die beiden Überbauungen im Bauinventar für erhaltenswerte respektive schützenswerte Bauten.
Das bedeutet, dass der Heimatschutz sowie die Denkmalpflege eine schützende Hand über sie halten, da diese Gebäude wie das Schloss Burgdorf nicht einfach ersetzt oder nach freiem Belieben verändert werden dürfen.Warum das so ist, wurde bei einem öffentlichen Rundgang vor Ort erklärt. Antworten darauf gab am Sonntag Professor und Architekt Heinz Kurth.
Die Regionalgruppe Burgdorf-Emmental des Berner Heimatschutzes hatte ihn eingeladen, im Rahmen des Europäischen Tages des Denkmals die Besonderheiten dieser benachbarten Siedlungen aufzuzeigen.
Ein Jahr Bauzeit
Der Anlass stiess auf grösseres Interesse als erwartet. «Ich habe mit fünf bis sechs Menschen gerechnet, nun sind deutlich mehr gekommen», so Kurth. Rund 60 Frauen und Männer erfuhren vor dem Gyri-Zentrum, dass im Gyrischachen die ersten Wohnungen 1967 bezogen werden konnten.
Die Planung begann 1964. Just in diesem Jahr wurden die Mehrfamilienhäuser am dahinterliegenden Uferweg fertig erstellt. Die Bauzeit der beiden achtstöckigen Blöcke im Gyrischachen dauerte nur ein Jahr, weil die Bauelemente aus Beton vorfabriziert worden waren.
Nach dem Bau des Tscharnergutes in Bern «haben die Architekten grosse Lust bekommen, noch mehr solche Wohnblöcke zu bauen», erzählte Kurth. Burgdorf sei bereit gewesen, diese verdichtete Bauweise zu unterstützen. Dieses «vertikale Wohnen», das einzelne Wohneinheiten miteinander verbindet, auch Schulen, Läden sowie gemeinsam genutzte Aussenflächen beinhalten soll, gründet laut ihm auf den Architekten Corbusier.
Der sparsame Umgang mit Bauland sei nach wie vor vorbildlich und sei damals ein neuer Baustil gewesen, der aufgrund der beschränkten Landressourcen zukunftsträchtig sei. Deshalb seien vier Wohnblöcke des Gyrischachens als erhaltenswert und die Überbauung Lorraine gar als schützenswert eingestuft.
Zu viele Eigentümer
Im Gegensatz zu anderen Überbauungen wurde der Gyrischachen nicht von einer Baugenossenschaft oder einem einzelnen Eigentümer erstellt. Die einzelnen Stockwerke gehören auch heute noch «fast unendlich vielen Menschen, die fast überall auf der Welt niedergelassen sind». Dieser Umstand erschwere die Sanierung der Gebäudehüllen, die sich mittlerweile aufdrängt, die Isolation ist mangelhaft.
«Eine Studie aus dem Jahr 2014 zeigt, dass die Renovation problemlos möglich wäre. Aber bisher wurde offenbar keine Einigung gefunden», bedauert der Architekt, der diesbezüglich zu mehr Mut aufrief: «Erhaltenswert heisst nicht, dass keine Farbe verwendet werden oder die extrem kleinen Balkone nicht vergrössert werden dürfen.» Für jede Innovation brauche es allerdings auch Investoren.
Schutz vor Verkehrslärm
Anders zeigt sich der Gebäudekomplex in der Lorraine: Erbaut wurde er von einer Holding für seine Angestellten. Aebi-Schmid ist noch heute die Besitzerin dieser Überbauung, die ebenfalls aus verschiedenen unabhängigen Wohneinheiten gewissermassen im Baukastensystem zusammengestellt wurde. Das Berner Atelier 5 richtete den Komplex so aus, dass er gegen den Verkehrslärm geschützt ist. Alle Wohneinheiten sind deshalb gegen einen Innenhof gerichtet, der sich Richtung Schloss hin öffnet.
Heinz Kurth wohnte einst selber in dieser Siedlung. «Nicht alles ist so schön, wie es geplant war», räumte der Architekt ein. So seien gerade Güterzüge zwar nicht so gut hörbar. «Aber je nachdem schüttelten sie mich fast aus dem Bett.»
Wissenslücken schliessen
Am Rundgang nahmen vor allem Burgdorferinnen und Burgdorfer teil, die in anderen Quartieren leben. So auch Elsbeth Hadorn, die Stadtführungen anbietet, aber eingestand, über diesen Teil der Stadt kaum etwas zu wissen. Sie hörte nicht nur, dass in diesen Siedlungen 2500 Menschen aus 48 verschiedenen Nationen wohnen, sondern auch, dass mitten im Park einst eine Schule geplant war. Aber dann doch nicht gebaut worden war.
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