Ein bisschen Normalität im Spital
Damit kranke Kinder, die viel Zeit im Spital verbringen müssen, nicht auch in der Schule den Anschluss verpassen, erhalten sie im Krankenhaus Unterricht. Ein Besuch in der Patientenschule der Kinderklinik des Berner Inselspitals.
Fast unmöglich, dem flott gespielten, fast hingeworfenen Klang des Schwyzerörgeli, der durch das halbe Stockwerk der Kinderklinik dringt, nicht zu folgen. An der Quelle sitzt ein Mädchen vor seinem Bett auf dem Instrumentenkoffer, die Noten an die aufgebauschte Bettdecke gelehnt, die Finger flink über die Knöpfe huschend.
Was fasziniert: Vanessa Waser, so heisst das Mädchen, spielt mit einer Hingabe, Sicherheit und Selbstverständlichkeit, die verblüffen. Was irritiert: Hinter dem Kind steht ein Infusionsständer, dessen Schlauch direkt zu seinem Arm führt. Denn die zwölfjährige Vanessa leidet an cystischer Fibrose und muss wegen der Krankheit öfter im Jahr mehrere Wochen in der Kinderklinik verbringen.
Als die Besucher eintreten, huscht ein leichter Farbhauch über das Gesicht des Kindes. Doch es spielt unverzagt weiter für die frühmorgendlichen Zuhörer, während ihre Mama, die einen grossen Teil des Spitalaufenthalts mit ihr teilt, am Tischchen sitzt und handarbeitet. Auf die Frage, wie lange sie denn schon spiele, lacht das Mädchen: «Etwa vier Jahre.
Aber wenn ich etwas zum Üben bekomme, kann ichs meistens schon.» Kein Wunder, Vanessa ist eine der drei Engelberger Musikantinnen der Gruppe Echo vom Schanzentisch. Sie war einst sogar dabei, als die Sprungschanze eingeweiht wurde.
Unterrichtsanschluss
Ein Mädchen voll im Leben. Damit Vanessa den Anschluss an den regulären Schulunterricht nicht verpasst, geht sie in die Patientenschule des Inselspitals. Zwischen dem Spital und der Erziehungsdirektion des Kantons Bern besteht eine Leistungsvereinbarung. Für Kinder und Jugendliche zwischen 4 und 16 Jahren besteht in der Patientenschule genauso die Schulpflicht wie in der Volksschule.
«Natürlich ist der Unterricht abhängig vom gesundheitlichen Zustand unserer jungen Patientinnen und Patienten.»
Der Unterricht wird ab dem ersten Tag des Klinikaufenthaltes angeboten. Und ist für alle junge Patientinnen und Patienten nach dem fünften Spitalaufenthaltstag Pflicht. «Natürlich abhängig von ihrem gesundheitlichen Zustand, von Therapieprogrammen und Aufenthaltsdauer in der Kinderklinik», erklärt Schulleiterin Livia Salis-Wiget.
Der schulische Unterricht enthält die Hauptfächer Deutsch – oder die jeweils andere von den Patienten gesprochene Muttersprache – Mathematik, die erste Fremdsprache und gegebenenfalls naturwissenschaftliche Fächer. Dieser Unterricht findet vormittags in einem der Schulzimmer in der Gruppe statt. Wer die Abteilung nicht verlassen kann, wird am Nachmittag einzeln unterrichtet.
So ist es auch bei Vanessa. Da die Ansteckungsgefahr für sie in der Gruppe zu hoch wäre, wird sie von Spitalpädagogin Beatrix Kübli im Krankenzimmer besucht. Vanessa legt ihr Instrument zur Seite und zeigt der Werklehrerin das bereits fertige Schachbrett.
Sie liebt das Werken, genauso wie das Schreiben von eigenen Geschichten, das Tanzen, die Schule generell. «Wenns mir gut geht, könnte ich immer Schule haben.» Unglaublich, das Mädchen scheint eine unerschöpfliche Quelle der Kraft und Lebensfreude in sich zu tragen.
Unterrichten auf allen Stufen
Die Schulpädagoginnen unterrichten allesamt auf den verschiedenen Stufen und sind dem Lehreranstellungsgesetz unterstellt. «Unser Bildungsauftrag basiert auf den Lehrplänen des Kantons Bern», so Salis. Insgesamt sind es fünfzehn Spitalpädagoginnen mit Voll- und Teilzeitpensen, welche mit den Patienten arbeiten. «Das Fach Gestalten bieten wir jeden Tag an.»
Für den Gestaltungsunterricht stehen den kleinen Patienten zwei Zimmer zur Verfügung. Sie sind freundlich eingerichtet und animieren mit den vielen Materialien zum sofortigen Anpacken.
Die Patientenschule im Porträt. Quelle: Youtube.com/Insel Gruppe
An diesem Morgen zum Beispiel tritt Elia in den Werkraum und wird von Lehrerin Barbara Monteiro empfangen. «Manchmal tummeln sich hier bis zu zehn Kinder», sagt sie. Und erzählt von der Schwierigkeit, wenn sie zum Beispiel nachmittags Schüler auf der Onkologie besucht. «Sie haben viele Therapiestunden und sind oft schwach. Da muss die Schule hintenanstehen.»
Wenn sie mit den Kindern nähe, töpfere oder Holz bearbeite, bringe dies Freude. «Unser Angebot ist gross und wird, gerade von den Langzeitpatienten, sehr geschätzt. Da kommen die Kids manchmal in ein regelrechtes Feuer hinein.» Ein Mädchen mit Diagnose Essstörung habe einmal während ihres mehrwöchigen Aufenthaltes gar ein ganzes Ballkleid genäht.
Mit Fachpersonal
Weiter unten befinden sich die beiden Schulzimmer. Darin unterrichtet die stellvertretende Schulleiterin und Pädagogin Corinne Stucki gerade Silvia und Sheila.
Die 12 und 15 Jahre alten Patientinnen besuchen die Schule während mehrerer Wochen. Silvia ist in ihr Franzbuch vertieft, Sheila büffelt Mathe. Die Stimmung ist gehoben, der Umgang vertraut. «Es gibt Patienten, die kommen gar im Bett zu uns», erklärt die Pädagogin.
Plötzlich geht die Türe auf, und eine Psychiaterin holt Silvia ab. «Wir arbeiten Hand in Hand mit den Kollegen der verschiedenen Fachgebiete», so Stucki. «Ausserdem bringen wir den Kindern ein Stück Alltag ins Spital.» Kürzlich veranstalteten die Pädagogen einen Gruselabend.
«Das war lustig. Mit Leuchtspinne, Gespenst, Marshmallows und Schokoküssen», sagt Sheila und lacht. Auch Corinne Stucki, die bereits 19 Jahre an der Patientenschule unterrichtet, schmunzelt: «Es ist bereichernd mit den Jugendlichen zu arbeiten. Ich habe meinen Traumjob gefunden.»
Weitere Infos: www.kinderkliniken.insel.ch
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