Ein Berner Orchester reist nach Fernost
Zurzeit tourt das Berner Symphonieorchester durch China. Damit 70 Musiker mit ihren Instrumenten verreisen können, braucht es viele Monate Vorlaufzeit. Die Konzertmanagerin Judith Schlosser hat die Reise organisiert.

Sie kennt sich aus mit Listen. Judith Schlosser (28) hat in den letzten Monaten einige erstellt. Auf der wichtigsten Liste der Produktionsleiterin von Konzert Theater Bern stehen fünfzig Streich- und neun Holzblasinstrumente. Von wo kommt das Instrument, wie alt ist es, und vor allem: Enthält es Edelhölzer, Elfenbein oder Perlmutt?
Bei Instrumenten, die jahrzehnte- und gar jahrhundertealt sein können, kommt das schon mal vor. Da es sich dabei aber um Materialien handelt, die heute nicht mehr verwendet werden dürfen, ist das eine heikle Sache. Zum Beispiel, wenn man nach China reisen will.
So wie das Berner Symphonieorchester auf seiner diesjährigen Tournee. Denn in China, wie in rund 200 weiteren Ländern, gilt das Abkommen Cites – das steht für «Convention on International Trade in Endangered Species of Wild Fauna and Flora» und regelt den Handel mit geschützten Tier- und Pflanzenarten. Wer mit einem Instrument in ein Land einreisen will, in dem dieses Abkommen gilt, muss deklarieren können, woraus es besteht.
Das Problem: Bei einem 200-jährigen Instrument kann man den Instrumentenbauer nicht mehr fragen, was er alles verwendet hat. Und nicht immer liegen Unterlagen vor, die alles deklarieren.
Die Suche nach Elfenbein
Also engagierte Judith Schlosser einen Experten, der während dreier Tage alle Streich- und Holzblasinstrumente des Berner Symphonieorchesters nach heiklem Material absuchte. Bei zwei Instrumenten wurde er fündig: Elfenbein in Instrument und Bogen. Da man nicht mehr eruieren konnte, von wo das Elfenbein stammt, entschied man sich, es entfernen zu lassen.
Drei Monate hatte es gedauert und viele Nerven gekostet, bis Judith Schlosser die vollständige Liste mit allen Informationen über sämtliche Instrumente fertigstellen, aktualisieren und an die chinesischen Behörden weiterleiten konnte.
Zwanzig Nationen
Die Instrumente sind die eine Sache. Die andere sind die Menschen. Eine Reise für 80 Leute – darunter 70 Musiker – aus 20 Nationen zu organisieren, hat es in sich. Judith Schlosser atmet tief durch. «Das Berner Symphonieorchester spielt vier Konzerte in vier Städten, für jede Stadt mussten wir eine Arbeitsgenehmigung von den chinesischen Behörden einholen.»

Vor einem halben Jahr schickte Schlosser also eine Liste mit der genauen Orchesterbesetzung nach Peking, Shanghai, Suzhou und Wuhan. Erst wenn die Bewilligungen aus China vorliegen, kann man in Bern die Visumanträge stellen. Das war zwei Wochen vor Abreise der Fall. Letzten Dienstag, fünf Tage vor der Abreise, wartete Judith Schlosser noch auf zwölf Visumbestätigungen. «Neun davon machen mir keine Sorgen, bei dreien könnte es aber Probleme geben.»
Problem Nummer eins: Ein Musiker hatte kürzlich einen Unfall und verletzte sich am Handgelenk. Ein Ersatz musste gesucht werden, und dieser wurde auch schnell gefunden: eine Musikerin aus Wien. Da sie nicht auf der Liste steht, die Schlosser vor sechs Monaten nach China geschickt hatte, könnte es schwierig werden. Falls sie kurzfristig kein Visum bekommt, wird ein chinesischer Musiker aus Zürich einspringen.
Nicht ohne mein Instrument
Beim zweiten «Problemfall» wurde ein Musiker auf einer Liste vergessen. Nicht auf jener von Judith Schlosser, wohlgemerkt, sondern auf jener, die von China retour nach Bern geschickt wurde. Und beim dritten Problem ging es um einen brasilianischen Musiker, der vor sechs Monaten in der Schweiz noch keine Aufenthaltsgenehmigung hatte. Mittlerweile hat er ein Visum für die Schweiz, jetzt braucht er aber noch eines für die China-Reise. Falls es nicht rechtzeitig klappt, muss auch hier ein chinesischer Musiker einspringen.
In den letzten Wochen und Monaten hat Judith Schlosser – neben Listen – unzählige Mails geschrieben, Handouts für die Musiker erstellt, Hotels und Flüge gebucht, Sightseeing organisiert und Überzeugungsarbeit geleistet. Zum Beispiel wenn es darum ging, die Musiker zu informieren, dass ihr Instrument per Fracht reisen muss. Also nicht als Handgepäck, sondern im Frachtraum. «Für die Musiker ist das nicht so einfach, das kann ich schon verstehen», sagt Schlosser. «Aber es geht nicht anders und ist der sicherste Weg.»
«Die Musiker werden zwei Tage früher zurück sein als die Instrumente, das war für viele schwer zu akzeptieren.»
Nur Flöten, Oboen, Klarinetten und Fagott dürfen in den Passagierraum. Alle anderen Instrumente werden in klimatisierte Flightcases verpackt und reisen in separaten Flügen nach China. «Das war auch ein Punkt», sagt Schlosser. «Die Musiker werden zwei Tage früher zurück sein als die Instrumente, das war für viele schwer zu akzeptieren.» Sie könnten nicht ohne ihr Instrument sein, hätten sie gesagt. Während der Tournee ist Schlosser Mädchen für alles. Sie hat eine Reiseapotheke dabei und WC-Papier, weil ihr eine chinesische Musikerin erzählt hat, dass es in öffentlichen Toiletten kein Papier gebe.
«Es gibt immer eine Lösung»
Am Sonntag reiste das Berner Symphonieorchester ab, am Dienstag findet das erste Konzert statt – fast in der Originalbesetzung. Nur die eingesprungene Wienerin erhielt ihr Visum nicht mehr rechtzeitig, für sie spielt nun der Chinese aus Zürich.
Judith Schlosser ist für alles gewappnet. Zwei Dinge habe sie gelernt: «Irgendetwas passiert immer.» Und: «Es gibt immer eine Lösung.»
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