Dortmunds Risiko mit Favre
Der Schweizer ist der Wunschkandidat des BVB, obwohl er das Gegenteil ist von Jürgen Klopp – und eine Hängepartie droht.
Ins neue Trikot von Borussia Dortmund ist ein Herzschlag eingewebt, eine Art Zickzack wie beim EKG. Der symbolisch erhöhte Puls könnte in den nächsten Tagen noch in grösseren Stress ausarten, denn beim BVB steigt vor allerhand wegweisenden Entscheidungen die Nervosität. Während die Mannschaft am Wochenende in Hoffenheim um die Qualifikation für die Champions League spielt, ziehen sich die Planungen für die nächste Saison hin.
Immerhin scheint nun klar zu sein, dass die Profis einen neuen Trainer vorgesetzt bekommen. Die Indizien sind eindeutig. Am Samstag sagte der aktuelle Trainer Peter Stöger in ein ZDF-Mikrofon: «Ich habe eine Aufgabe, die werden wir fertig machen.» Am Sonntag sagte dann der BVB-Mittelfeldspieler Sebastian Rode in einer Sky-Talkrunde: «So, wie Peter Stöger sich in der Kabine ausdrückt, gehen wir davon aus, dass wir nächste Saison einen neuen Trainer haben werden.» Und am Montag dann sagte BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke: «Dafür werden wir Sebastian Rode sanktionieren.» Watzkes Reaktion suggerierte: Rode sagt die Wahrheit, er durfte sie allerdings nicht verraten.
Stöger ist ratlos
Beim jüngsten 1:2 gegen Mainz, der ersten Heimniederlage unter Stöger in der Bundesliga, kam noch ein gewichtigeres, auf Abschied deutendes Indiz hinzu: Dortmund spielte zum wiederholten Male uninspiriert und mit der Körpersprache von Jassern – denen man mit diesem Vergleich womöglich noch Unrecht tut. «Es ist eine Saison der Höhen und Tiefen», sagte Stöger hinterher. Auf die Frage, welche Erklärung er fürs ständige Auf und Ab habe, antwortete er: «Für Erklärungen wäre ich dankbar.» Der Österreicher findet keinen Ansatz und keine klare Idee für diese Mannschaft.
Nun gibt es da allerdings einen Schweizer, der hat in Mönchengladbach bereits sehr erfolgreich mit den Dortmunder Spielern Marco Reus und Mahmoud Dahoud zusammengearbeitet. Einen Schweizer, der auch mit den Schweizer BVB-Fussballern Roman Bürki und Manuel Akanji gut zusammenarbeiten könnte. Und Marwin Hitz, kürzlich aus Augsburg gekommen. Und Stephan Lichtsteiner, dem Captain der Schweizer Nationalmannschaft, über dessen bevorstehenden Wechsel von Juventus Turin zu Dortmund italienische Medien berichteten. Dieser Schweizer, Lucien Favre, ist Favorit auf den Trainerposten in Dortmund.
Das Gegenteil von Jürgen Klopp
Favre hat schon beim FC Zürich bewiesen, dass er vor allem junge Spieler besser machen kann. Er bestätigte das bei Hertha Berlin, in Mönchengladbach und aktuell bei OGC Nice. Er kann auch mit schwierigen Charakteren umgehen. Als Typ ist er aber ungefähr das Gegenteil des ewigen Dortmunder Helden Jürgen Klopp, er gilt als eigenbrötlerisch, manche sagen kauzig. Nach seiner Entlassung in Berlin im Jahr 2009 veranstaltete er eigenmächtig eine Pressekonferenz, um die Hertha-Führung zu attackieren, und in Mönchengladbach trat er 2015 nach fünf Spieltagen gegen den Willen der Clubführung zurück. Sein Berater rief damals bei den Nachrichtenagenturen an, um den Rücktritt vermelden zu lassen. Favre kann seltsam sein.
Der 60-Jährige darf Nizza gegen die Zahlung einer niedrigen einstelligen Millionensumme in diesem Sommer verlassen. Watzke und BVB-Sportdirektor Michael Zorc sollen sich nach Berichten der französischen Sportzeitung «L'Équipe» mit Favre auf eine Zusammenarbeit verständigt haben. Aus Frankreich hört man aber auch, dass die Verabredung durch das 1:2 gegen Mainz noch einmal etwas wackelig geworden sei – weil es Dortmund bislang versäumt hat, sich sicher für die Champions League zu qualifizieren. Im Dortmunder Horrorszenario verliert man am Samstag nun mit zwei Toren Differenz bei der TSG Hoffenheim, während sich Leverkusen gegen Hannover in einen Rausch spielt und 5:0 gewinnt.
Champions League als Bedingung
Sollte genau dies passieren, wäre Dortmund Fünfter und hätte die Champions League verpasst – was Favre laut «L'Équipe» bewegen könnte, vielleicht doch nicht zu kommen. Die Champions-League-Teilnahme sei Bestandteil der Verabredung, so ist zu hören, und Favre stehe auch auf einer Shortlist bei Arsenal als Nachfolger von Arsène Wenger.
Ausgerechnet Dortmunds Lieblingskandidat Julian Nagelsmann könnte die Dortmunder am Samstag also in die Bredouille stürzen - jener Hoffenheimer Trainer, den der BVB bereits im vorigen Sommer gern verpflichtet hätte. Auch in diesem Sommer wird Nagelsmann Hoffenheim kaum verlassen können, erst im Sommer 2019 greift eine Ausstiegsklausel - und ohnehin soll Mäzen Dietmar Hopp keine grosse Lust verspüren, sein umworbenes Trainertalent zu einem direkten Konkurrenten ziehen zu lassen.
Hoffen auf eine positive Wirkung
Die Dortmunder wären also ziemlich gut beraten, sich bei Nagelsmanns Hoffenheimern die Champions-League-Qualifikation zu sichern; ein BVB mit einem minderwertigen Europa-League-Ticket wäre ebenso unattraktiv für namhafte Trainer wie für Aktienanleger. Diesem Dortmunder Horrorszenario würde wohl ein kleiner Kurscrash folgen und womöglich auch eine Hängepartie in der Stöger-Nachfolge.
Aber einstweilen hoffen sie beim BVB, dass die Niederlage gegen Mainz erst mal einen positive Wirkung zeigt. Manager Zorc, der die Leistung der Spieler vor einigen Wochen als «Beamtenfussball» diskreditierte, nannte die jüngste Vorstellung nun «eine Leistung zum Schämen». Spannend wird also die Woche im Trainingszentrum im Ortsteil Brackel, wo der auf Abruf arbeitende Trainer Stöger den Spielern ultimativen Einsatz fürs Endspiel in Hoffenheim abverlangen soll. Dass der ins Trikot eingewebte Herzschlag da nicht besonders weiterhilft, weiss man bereits.
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