
Ein weiser, vielleicht auch etwas vergesslicher Mensch sagte einmal, dass das Heim jener Ort ist, an dem wir uns daran erinnern, wer wir sind. Wahrscheinlich war diese Person ein digitaler Immigrant, so wie ich. Digitale Eingeborene, die «Natives» des Computerzeitalters, müssen bekanntlich nur auf ihr Smartphone schauen, um zu wissen, wer sie sind. Ich gehöre zu denjenigen, die manchmal freundlich, aber mitleidig als «Letzte der Unschuldigen» bezeichnet werden. Einer Generation, die noch ohne Internet aufgewachsen ist. Meine Geburt im Jahr 1963 wurde noch nicht auf Twitter oder Facebook annonciert, sondern in einem Pub in Dublin. Angestossen wurde nicht auf Instagram, sondern mit einem guten, analogen Guinness.
Liegt es daran, dass ich Probleme mit dem «I»-Wort habe? Nicht mit dem Wort Immigrant – ich bin selber eine Immigrantin, in vieler Hinsicht. Sondern mit dem «i» von iPhone oder iHome. Dieser unschuldige Buchstabe hat sich inzwischen an alles Mögliche drangeklebt – an unsere Geräte, unsere Wohnungen oder sogar an unser menschliches Selbstbewusstsein. So ähnlich, wie sich die Mistel an alte Laubbäume klammert.
Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich möchte nicht in einem anderen Zeitalter leben (vor allem, was Zahnärzte betrifft). Zwar geht es mir manchmal wie Douglas Coupland (dem Autor, der die «Generation X» erfand), der einmal formulierte: «Ich vermisse mein Vor-Internet-Hirn.» Doch möchte ich keineswegs dauerhaft ohne das Internet (oder mein Hirn) leben. Aber als es vor zehn Jahren darum ging, unser Haus zu bauen, das «Future Evolution House» am Stadtrand von Wien, kämpfte ich mit der Erwartung, ein «Smart Home» realisieren zu müssen. Nur: Wenn ein Haus jener Ort ist, an dem wir unsere Existenz ausdrücken, wo wir mit lebendigen, ganz analogen Partnern, Kindern, Hunden oder gar Zimmerpflanzen zusammenleben – was könnte eigentlich smarter sein als das?
«Die Gegenstände um uns sind Ausdruck unserer Persönlichkeit.»
Dank dem, was Margaret Mitchell, Wissenschaftlerin am Google-Institut für Maschinenintelligenz, «Sea of Dudes» nannte – das Meer der männlichen Programmierer und Nerds, die die Tech-Branche dominieren –, wurden wir in den Glauben versetzt, unser Heim sei nicht komplett ohne eine Armada von digitalen Assistenten, «smarten» Kaffee- und Waschmaschinen, Schlafsensoren und«iFridges» – intelligenten Kühlschränken mit begrenzter Wirkung, aber grossem Hype.
Ist dieses Begehren einfach nur die Freude an «toys for the boys», Spielzeug für eher Un-Erwach-sene? Oder warum wollen wir so gern glauben, dass das «i» vor den Dingen, mit denen wir uns im Haushalt umgeben, diesen Haushalt tatsächlich besser managebar, kontrollierbar, verlässlicher und irgendwie «einfacher» macht? Warum sollen wir das glauben? Viele dieser Geräte werden unter Umständen getestet, die besser zu einem One-Night-Stand passen als zu einer Beziehung, die bei längerem Gebrauch entsteht. Mit der Bitte um Entschuldigung Richtung Pharmaindustrie (und einige Männer): Ich neige dazu, viele dieser Angebote als digitales Viagra zu bezeichnen. Weil wir verführt und überwältigt von ihrem Versprechen sind. Aber dann doch unbefriedigt über das Endresultat.
Warum also sollte, nur weil wir einen bestimmten Ablauf programmieren können oder ein «i» an die Frontscheibe kleben, etwas automatisch wertvoller oder sinnvoller werden? Wir sollten uns fragen, ob das ökonomische und elektronische Investment (vom ökologischen noch zu schweigen) sich wirklich proportional zu den Gewinnen verhält. Wollen wir wirklich von den kleinen, sinnlich-mechanischen Ritualen und Gewohnheiten «erleichtert» werden, die das häusliche Leben ausmachen – Vorhänge zuziehen, eine Einkaufsliste schreiben? Ist das oft nicht eher so wie die Erleichterung, die entsteht, wenn ein Taschendieb unsere Brieftasche klaut?
Welche Gegenstände wir besitzen, schätzen und in unserem Heim willkommen heissen, sagt eine Menge über uns aus. Sie sind nicht nur Ausdruck unserer Persönlichkeit, sie transportieren auch Botschaften. Die Dinge um uns, so sagt man, flüstern uns zu, offerieren uns Ermutigungen, Erinnerungen, festigen Gedanken oder sprechen Ermahnungen oder Korrektive aus. Ihr Wesen ist nicht nur die Erzeugung, sondern auch die Störung von Routinen. Dagegen sollen die «smarten» Dinge, digitale Home-Assistenten und intelligente Helferlein, alles störungsfrei machen. Nahtlos, übergangslos, «convenient» eben. Womöglich gerade dadurch auch sinnlos.
«Vielleicht müssen wir eines Tages digitale Entgiftungskuren vornehmen.»
Wir haben so viele Geschichten gehört über das, was die digitalen Helferlein können sollen, was sie bereits können und demnächst können werden. Aber lasst uns doch einfach fragen, ob ein Heim dazu da ist, mit uns selbst, anderen Menschen oder mit Technologie verbunden zu sein. Charlie Brooker, der Erfinder von «Black Mirror», jener Netflix-Serie, die in der nächsten digitalen Zukunft spielt, wird oft gefragt, ob er in einem futuristischen Smart Home wohnt. In Wirklichkeit hat er vor kurzem seine Alexa entsorgt.
Der Grund: Eines Tages nannte sein Sohn ihn Alexa statt Dad. Ein ähnliches Syndrom wurde von Psychologen festgestellt: Vielnutzer von Alexa und ähnlichen Assistenten erzeugen in ihren Beziehungen Probleme durch überproportional viele Kommunikationen mit dieser dritten anderen, die lauschend auf dem Küchentisch oder der Kommode steht. Ich nenne das das Camilla-Syndrom – so muss sich Prinzessin Diana angesichts der permanenten unsichtbaren Anwesenheit einer dritten Person gefühlt haben, nämlich von Charles' Langzeit-Liebhaberin.
Was also wird in unserer Beziehung zu diesen Containern der Seele passieren, wenn wir blind dem Pfad des digitalen Populismus in unseren Häusern folgen? Werden wir Diener und Sklaven unserer Geräte, immer darum kämpfend, mit den Updates, «function overloads» und Ansprüchen dieser digitalen Kleinkinder klarzukommen? Vielleicht müssen wir eines Tages weite Urlaubsreisen buchen, um digitale Entgiftungskuren vorzunehmen, nicht nur von unserem «normalen» Onlineleben, sondern auch von unseren aufmerksamkeitsfressenden und kommunikationsdisruptierenden Smart Homes?
Dieses Jahr, während ich ostentativ ein «Digital Detox» in einem weit entfernten Surf-Camp versuchte, kontaktierte ein Mitreisender, der sich selbst als digitalen Autisten bezeichnete, alle dreissig Minuten fleissig seine heimatliche Webcam. Um zu schauen, ob in seinem Londoner iLand noch alles in Ordnung war. Zum allgemeinen Vergnügen unserer kleinen Reisegruppe wurde vermeldet, dass die iKaffeemaschine bislang keinen Anfall von gesundheitswahnbedingtem Kräutertee-Kochen hatte, der iFridge seinen Inhalt nicht angewidert ausspuckte und der iMäher NOCH NICHT den Rasenrand übertreten hatte, um das Rosenbeet zu schreddern. Alles funktionierte. Er gab aber auch zu, dass er seine Alexa vermisste. Vielleicht sogar ein bisschen mehr als seine zu Hause gebliebene Partnerin.
Wohnen – Die Übersicht
Editorial: Ein Haus für eine halbe Milliarde10 Trends, die das Wohnen noch schöner machenSo landen Sie im richtigen BettEssay: Trendforscherin Oona Strathern über unsere Sehnsucht nach dem «smarten» LebenSo wird Ihr Badezimmer zur WohlfühloaseDer Traum von der eigenen SaunaKaufen ist günstiger als mieten, aber ...DFAB House – Das smarteste Gebäude der SchweizWas Gadgets an Sicherheit bieten könnenSolebich.de-Gründerin Nicole Maalouf im Interview

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Digitales Viagra
Die Trendforscherin Oona Strathern über unsere verquere Sehnsucht nach dem «smarten» Leben. Ein Essay.