Märchen im Schauspielhaus ZürichDer Frosch singt herzzerreissend
Im Weihnachtsmärchen «König der Frösche» zieht Regisseur Nicolas Stemann Klischees, aber auch die Wokeness durch den Kakao.

Hatten Sie als Kind auch Mühe damit, dass der unschuldige Frosch im Märchen an die Wand gepfeffert wird? Und dass die wortbrüchige Prinzessin zur Belohnung auch noch einen Prinzen dafür bekommt? In Nicolas Stemanns «König der Frösche», frei – sehr frei – nach «Der Froschkönig oder der eiserne Heinrich» der Gebrüder Grimm, ist das alles anders und vor allem viel witziger. Ich war mit zwei zehnjährigen Theatertestern dort, die so viel lachten während der zwei Stunden, dass sie am Ende regelrecht erschöpft waren.
Als der Regisseur zusammen mit Benjamin von Blomberg 2019 die Zürcher Intendanz antrat, verpflichtete er sich, dem Theater für Kinder mehr Gewicht zu verleihen. Darum gibt er dem jährlichen Weihnachts- und Familienstück nicht bloss die Pfauenbühne, sondern schreibt und inszeniert es auch gleich selbst. Mit «Schneewittchen Beauty Queen» war Stemann erfolgreich gestartet, und er hat die Kniffe und die Könner von damals mitgenommen: zum Beispiel den auch diesmal hinreissenden Märchenonkel Lukas Vögler, der eigentlich keinen Bock mehr hat auf die ollen Kamellen.
Doch die Empfehlung des Arbeitsamts, sich als schnieker «Storyteller» – «Was fürn Teller?» – neu zu erfinden, entpuppt sich als Griff ins Klo. Vorderhand schnappt er sich Hänsel (Songhay Toldon) und Gretel (Tabita Johannes), die sich in dieses Märchen hineinverirrt haben wie seinerzeit Rotkäppchen ins «Schneewittchen», damit sie an seiner statt erzählen.

Die zwei legen los, als seien sie mal eben durch einen Woke-Wolf gedreht worden – hätten dabei aber nur das mitgenommen, was wirklich zählt. Wieso muss die jüngste Königstochter in «Froschkönig» die schönste sein und sonst nichts?, fragt also Gretel kritisch: «Das ist Lookism!» Lookism, erklärt sie, ist, wenn man nur aufs Äussere schaut. Bei der schönen Prinzessin wie beim garstigen Frosch.
Die Prinzessin ist jedoch, wie sich zeigen wird, völlig anders drauf: Die Tochter eines schwulen Paars – von ernst zu nehmender Komik: Kay Kysela und Matthias Neukirch – ist weder blond noch blöd und findet nichts öder als schöne Prinzen und Goldkugeln, von denen sie ohnehin zu viele besitzt. Titilayo Adebayo gibt ein Königskind der kratzbürstigen Sorte, das oft Englisch spricht (Übersetzung läuft mit), sich nicht ins Bockshorn jagen lässt und im Lauf des Stücks eine charakterliche Reifung durchmacht. Das ist aber auch kein Wunder: Vincent Basses Frosch, der ein herzzerreissendes Einsamkeitssolo gibt, ist zum Verlieben in seiner Hässlichkeit und Tristesse (Kostüme: Marysol del Castillo). Der Shrek aus Zürich kann singen.

Überhaupt macht sie Laune, die Livemusik – für die Thomas Kürstner, Sebastian Vogel und wiederum Nicolas Stemann verantwortlich zeichnen. Sie hilft auch mit Schwung über die eine oder andere etwas zerfaserte Stelle hinweg. Einend und fokussierend wirkt ausserdem Brex der Hex – ein furchtbar grusliger Gottfried Breitfuss: Er ist der gemeinsame Feind, der Hass, Zwietracht und, tatsächlich, Handysucht sät. Mit überdimensionierten Handy-Gefängniszellen gelingt Bühnenbildnerin Katrin Nottrodt da wie auch sonst eine altersgerechte Bildsprache; für die ganz Kleinen ist die Aufführung weniger geeignet (ab circa 9 Jahren).
Okay, nicht alle Fäden werden in «König der Frösche» wirklich stringent ineinandergeflochten oder ordentlich vernäht. Aber beim Wort «ordentlich» gehen Hänsel, Gretel und die Prinzessin eh die Wände hoch. Auch hat das Finale etwas weniger Power, wenn man den Verweis aufs «Schneewittchen» nicht erkennt. Und der eiserne Heinrich ging unterwegs irgendwie verloren. Egal: So spielerisch und kindgerecht mit Klischees und zugleich auch mit ihrer politisch korrekten Aufhebung umzugehen, ist grosse Klasse.
«König der Frösche», Pfauen, bis 5. Februar.
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