Wahl im deutschen NordenDieser Mann will Merkels Nachfolger werden
Der 33-jährige Georg Günther soll im Herbst an der Ostseeküste rund um die Insel Rügen Angela Merkels traditionellen Wahlkreis für die CDU behaupten.

Wenn Fernsehteams und Fotografen Georg Günther besuchen, was in letzter Zeit ziemlich häufig vorkommt, lotst er sie in der Regel in eine Aussenstelle seiner Partei in Grimmen, einem Städtchen eine halbe Autostunde südlich der schönen Hansestadt Stralsund. Dort setzt er sich dann unter zwei alte Wahlplakate, von denen eine recht junge Angela Merkel auf ihn hinabsieht, und lächelt.
Günther ist 33 Jahre jung, ein schmaler Mann mit schmaler Brille, akkurat gekämmt. Für das Finanzamt fährt er durch das flache Land an der Ostsee und prüft Betriebe. Die Medien interessieren sich für ihn wegen Merkel, 16 Jahre lang die mächtigste Frau der Welt. Günther soll im Herbst bei der Bundestagswahl den angestammten Wahlkreis der scheidenden Kanzlerin für die Christdemokraten verteidigen.
«Frau Doktor Merkel», sagt er
Wenn der junge Mann von ihr spricht, nennt er sie fast immer «Frau Doktor Merkel». Sie sei für seinen Wahlkampf «Fluch und Segen zugleich», sagt er am Telefon ganz offen. Über seine Kandidatur werde deswegen natürlich geredet, eine Niederlage wäre aber auch doppelt peinlich. «Dass die Leute etwas von mir erwarten, ist schön. Aber ich bin Georg Günther, nicht Angela Merkel.»
Achtmal in Folge hat Merkel den Wahlkreis 15 gewonnen, der den umständlichen Namen «Vorpommern-Rügen, Vorpommern-Greifswald 1» trägt. Es ist einer der grössten und am dünnsten besiedelten Deutschlands. 2013 holte die Kanzlerin 56 Prozent der Erststimmen, 2017 immerhin noch 44 Prozent.
Wie Merkel nach Rügen kam
Merkel kam nach der deutschen Wiedervereinigung 1990 eher zufällig hierher. Sie wurde in Hamburg geboren, ist in der brandenburgischen Uckermark aufgewachsen und hat dort bis heute ein Häuschen, seit Studienzeiten lebt sie in Berlin. Aber an all diesen Orten hatte die CDU damals keinen Platz für sie. Da empfahl ihr ein Parteifreund eine Kandidatur in Vorpommern.
In einer denkwürdigen nächtlichen Redeschlacht an der ehemaligen DDR-Offiziersschule in Prora auf Rügen obsiegte Merkel gegen drei CDU-Konkurrenten aus dem Westen – und gewann danach prompt auch die Wahl. Auf Rügen, in Greifswald und in Stralsund, wo sie immer noch ihr Wahlkreisbüro unterhält, ist Merkel gut bekannt und hat einige Spuren hinterlassen. Auch als sie 2006 den damaligen US-Präsidenten George W. Bush zum Wildschweingrillen einlud, tat sie es in ihrem Wahlkreis.
Ein «Merkelianer» ist er nicht
Georg Günther mag Merkels «Pragmatismus» und hat grossen Respekt für sie als Kanzlerin – ein «Merkelianer» ist er aber nicht. Er hätte es, wie viele Menschen im Osten, lieber etwas konservativer. Als neuen Parteivorsitzenden wünschte er sich den kantigen Friedrich Merz, als Kanzlerkandidaten den energischen CSU-Chef Markus Söder. Geworden ist es dann Armin Laschet, der fröhlich-behäbige CDU-Chef aus dem Rheinland.
Günther muss die Menschen vor Ort also schon selbst von seinen Fähigkeiten überzeugen. Als Kommunalpolitiker legt er sich für Schienen, Strassen, Velowege und Jugendzentren ins Zeug, wirbt für die Ansiedelung von Digitalunternehmen der Medizin oder für den Tourismus. Die Fotos auf seiner Website zeigen ihn mit Feuerwehrautos, in Windjacke am Strand, mit dem CDU-Nachwuchs im Ruderboot oder im Wasserstoffrennauto.
Als die Kanzlerin ihn plötzlich aufs Handy anrief
Merkel, die ja auch noch andere Dinge zu tun hat, interessiert sich durchaus für ihren möglichen Nachfolger. Noch vor seiner Nomination habe sie ihn einmal auf dem Handy angerufen, erzählte Günther dem «Spiegel». Unterdrückte Nummer. Ja, Merkel hier. Wie es denn laufe? Was er vorhabe? Ob sie helfen könne? 15 Minuten Gespräch. «Ganz schön viel Zeit für eine Kanzlerin», findet Günther.
Zur CDU-internen Wahl im Frühjahr schickte Merkel eine Videobotschaft, nach Günthers Nomination eine Glückwünsch-SMS – diesmal mit offener Nummer, für alle Fälle. Wenn es die Pandemielage zulässt, will die Kanzlerin ihren Wahlkreis vor ihrem Abgang noch einmal besuchen, sagt man vor Ort. Was man auch sagt: Wird Günther Abgeordneter im Bundestag, wird er sicher häufiger an der Ostsee anzutreffen sein als zuletzt Merkel.
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