YB - Anderlecht 0:1Dieser Abend raubt den Young Boys den Schlaf
Die Berner sind im Hinspiel gegen Anderlecht überlegen, ihnen mangelt es aber an Präzision und Glück. Und sie bestrafen sich gleich selbst.

Die Young Boys sehen wütend und wild entschlossen aus. Als wäre ihnen gerade eine grosse Ungerechtigkeit widerfahren.
Im Wankdorf ist beim Hinspiel des Playoffs zur Conference League vor 18’363 Zuschauern eine Stunde absolviert. Erstmals überhaupt in dieser Saison liegt YB im Rückstand. Das 0:1 kurz zuvor zeichnete sich nicht ab, ganz und gar nicht, auch wenn Anderlecht die Partie nun ausgeglichen gestaltete und das Heimteam längst nicht mehr so beherzt und inspiriert aufspielte wie zu Beginn. Aber es brauchte schon einen Fehler von Meschack Elia, der, nachdem ein Corner der Gäste eigentlich geklärt gewesen war, den Ball wieder in den eigenen Strafraum beförderte und so seine Defensive auf dem falschen Fuss erwischte. Die Hereingabe von Wesley Hoedt lenkte David von Ballmoos, mit seiner ersten Parade überhaupt, vor die Füsse Fabio Silvas. Konnte Lewin Blum den Schuss des portugiesischen Stars noch blocken, so hatte dann Hannes Delcroix leichtes Spiel, die Führung zu erzielen. «Wir haben uns selbst bestraft», sagt YB-Trainer Raphael Wicky.
Die Antwort der Berner lässt nicht auf sich warten, mit der Wut im Bauch rappeln sich rasch auf. Innenverteidiger Mohamed Camara setzt seine Bewerbung fürs Tor des Jahres auf, sein Distanzschuss wird länger und länger und zischt dann am Toreck vorbei. Bewerbung abgelehnt. Nur eine Minute später wäre Anderlechts Goalie Hendrik van Crombrugge geschlagen, der Freistoss von Fabian Rieder hat nur einen Haken: Er prallt an die Latte.
So geht das den ganzen Abend: Aufwand und Ertrag liegen bei YB in einem klaren Missverhältnis. Auch weil es ihnen an Präzision und – zum ersten Mal in dieser Saison – an Glück fehlt.
Anderlecht fremdelt auf dem Kunstrasen
Die Anfangsphase wirkt wie ein Vorbote für alles, was noch folgen sollte. YB beginnt druckvoll. Und YB müsste nach neun Minuten in Führung liegen: Nach einem Corner Rieders steht Cedric Itten im Torraum frei, sein Kopfball setzt er am Tor vorbei. Es ist eine dieser Chancen, die einem Stürmer in der Nacht den Schlaf rauben.
Aber vorerst bleibt Itten keine Zeit, zu hadern, schon rollt der nächste YB-Angriff. Diesmal ist es Anderlechts Goalie Van Crombrugge, der die Berner Führung verhindert: Erst pariert er den Schuss Rieders, dann kann er den von Nicola Ngamaleu abgeprallten Ball gerade noch vom Tor weglenken. Die Young Boys verpassen es, den bis dahin taumelnden Gästen einen frühen Treffer zu versetzen. Sinnbildlich ist, wie sich Starstürmer Silva in einer kurzen Unterbrechung bei YB-Linksverteidiger Jordan Lefort über die Besohlung des Schuhwerks erkundigt: Silva rutscht, Anderlecht findet noch keinen Halt im Spiel.
René Weiler, bis 2017 Anderlecht-Trainer, bezeichnete im Vorfeld den Kunstrasen als Vorteil für YB. Tatsächlich scheinen die Belgier auf der Unterlage zu fremdeln, aber sie überstehen die Startphase schadlos und gewinnen nun an Sicherheit. Es dauert aber fast eine halbe Stunde, bis sich ihnen die ersten Chancen bieten. Der belgische Nationalspieler Yari Verschaeren, eines dieser aufregenden Talente aus der renommierten Nachwuchsakademie des RSC, hat sie. Dass Goalie von Ballmoos beide Male nicht eingreifen muss, ist bezeichnend. Die YB-Abwehrzentrale um Camara und Cédric Zesiger, vergangene Saison eine Problemzone, wirkt stilsicher.
Der VAR hätte es wohl anders gesehen
So geht es in die Schlussphase, immer noch steht es 0:1. YB spielt jetzt neben Itten und Elia auch noch mit dem eingewechselten Jean-Pierre Nsame, hinten links hat Ulisses Garcia nach seiner Verletzung gerade sein Comeback gegeben, er tut dem YB-Spiel mit seiner Energie gut. Sein Schlenzer mit rechts verfehlt das Tor knapp.
Das Team von Wicky sucht und sucht den Ausgleich, nur findet es ihn nicht. Auch, weil es weiterhin glücklos ist. Eine Viertelstunde vor Schluss prallt eine Hereingabe Elias aus kurzer Distanz an die Hand Debasts. Schiedsrichter Aleskandar Stavrev steht daneben, seine Pfeife bleibt stumm. Videoschiedsrichter stehen im Playoff nicht im Einsatz. Es gibt Unparteiische, die in dieser Situation anders entschieden hätten. Es ist einer dieser Abende, einen, den die Young Boys schnellstmöglich vergessen möchten.
Wobei: Als sie schon in der Nachspielzeit alles nach vorn werfen und naiv in einen Konter geraten, haben sie zum ersten Mal an diesem Abend Glück. Der eingewechselte Sebastiano Esposito, letzte Saison beim FC Basel, kann unbedrängt aufs Tor ziehen. Aber er nimmt den Ball derart schlecht mit, dass er noch eingefangen und sein Schuss geblockt wird. 0:2 wäre eine grosse Hypothek fürs Rückspiel nächsten Donnerstag in Brüssel gewesen, vielleicht eine zu grosse. So aber sagt Trainer Wicky: «Ich bin überzeugt, dass wir die Qualität haben, auswärts zu gewinnen.»
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