Chinas WachstumskriseDie Zweifel an Xi Jinpings Kompetenz wachsen
China ist Exportweltmeister und gilt als globaler Wachstumsmotor. Die Regierung strotzt vor Selbstvertrauen. Doch die Wirtschaft hat ein schweres strukturelles Problem.

Die Welt zu Gast bei der Supermacht. Unter dem Motto der Eröffnungsfeier, «One World, One Family», versuchen sich die chinesischen Gastgeber als weltoffen und friedlich, als erfolgreich und kompetent zu präsentieren. Doch das ist bis jetzt gründlich schiefgegangen.
Wegen der Pandemie bleibt das Publikum ausgesperrt, wegen des Boykotts erweisen fast nur Autokraten dem Gastgeber Xi Jinping die Ehre. Chinas Null-Covid-Politik, die das Virus mit radikalen Mitteln zu eliminieren versucht, droht an der hochansteckenden Omikron-Variante zu scheitern. Das Image Chinas in der Welt geht derzeit in den Keller.
Die Wirtschaft leidet an schweren strukturellen Problemen. Unter der glänzenden Oberfläche zeigen sich Risse, die der enorme Aufschwung der letzten 20 Jahre überdeckt hat. Seit dem Beitritt zur Welthandelsorganisation WTO im Jahr 2001 hat sich das Bruttoinlandprodukt (BIP) mehr als vervierfacht. Seit 2009 ist das Land Exportweltmeister. Vor 20 Jahren kamen 1,7 Prozent aller Schweizer Importe aus China, im letzten Jahr waren es schon 8,9 Prozent. Damals gingen 1,3 Prozent der Schweizer Exporte nach China, heute sind es 6 Prozent.
Kürzlich meldete China für Dezember den grössten monatlichen Handelsüberschuss in seiner Geschichte – trotz Corona. Was viele als Zeichen für eine starke Wirtschaft und einen Beweis für die chinesische Leistungsfähigkeit halten, ist in Wirklichkeit ein Symptom für die Schwierigkeiten, in denen das Land steckt, wie der in China lehrende Ökonom Michael Pettis erklärt.
Seit den 1980er-Jahren hat China die Löhne nicht mit der Produktivität steigen lassen. Die Regierung hat den Konsum beschränkt, um Investitionen in Infrastruktur und Immobilien zu forcieren. Das hat zu starkem Wachstum geführt. Doch seit Mitte der 2000er-Jahre wurde es zunehmend schwierig, produktiv zu investieren. Seit etwa 2008 steigen die Schulden schneller als das BIP.
Immobilienkonzerne vor der Pleite
In erfolgreichen Schwellenländern hat schon viel früher der wachsende Konsum die Investitionen als Träger des Wachstums abgelöst. In China geschah dies nicht. Der Immobilienmarkt ist bereits für rund ein Viertel des BIP verantwortlich. In den letzten Jahren hat Peking versucht, das Schuldenwachstum zu bremsen. Nun stehen Immobilienkonzerne wie Evergrande vor der Pleite.
In den letzten zwei Jahren war das Einkommenswachstum und damit der Konsum schwach. Die fehlende Inlandsnachfrage kompensiert die Industrie mit mehr Exporten, deshalb die rekordhohen Handelsüberschüsse, wie Michael Pettis erklärt. Die Situation erinnert an die Entwicklung Japans vor 30 Jahren. Dort führten die enormen Ungleichgewichte schliesslich zum Platzen der Immobilienblase – und in der Folge zu jahrzehntelanger Stagnation.
China wird oft als Wachstumsmotor der Welt bezeichnet. Eine Verlangsamung wäre deshalb schlecht für alle. Pettis widerspricht dieser Aussage. In der Vergangenheit habe China durch seine Handelsüberschüsse bloss die ungenügende Inlandsnachfrage kompensiert, und das habe das globale Wachstum gebremst. Erst wenn es China gelinge, den Konsum der eigenen Bevölkerung zu erhöhen, werde sich dies positiv auf das globale Wachstum auswirken. Das sei auch im Fall Japans in den 1990er-Jahren der Fall gewesen.
Chinas Präsident Xi Jinping demonstriert derweil Stärke und schottet China immer mehr ab. Zum Beispiel mit dem überarbeiteten Exportkontrollgesetz. Damit führt China Ausfuhrkontrollen ein für Güter, die in den Augen der Regierung die nationale Sicherheit oder die nationalen Interessen Chinas tangieren. Das führe zu grosser Rechtsunsicherheit für ausländische Unternehmen, warnt Marc Bernitt, Senior Vice President bei Kühne + Nagel Schweiz, im Fachmagazin «Swiss Export Journal».
«Die Bürger akzeptieren das autoritäre Regime, solange dieses liefert – das heisst, solange es wirtschaftlich aufwärts geht.»
Das gestiegene Selbstbewusstsein der Supermacht verändert auch den Umgang mit Ausländern. Jörg Wuttke, Präsident der europäisch-chinesischen Handelskammer, schätzt, dass die Hälfte der ausländischen Angestellten wegen der erschwerten Bedingungen mittlerweile das Land verlassen haben, «und weitere werden folgen», sagte er der «Handelszeitung». «Man glaubt, man kann alles ohne die Ausländer machen.»
Am virtuellen World Economic Forum (WEF) in Davos hielt Xi Jinping bereits zum zweiten Mal die Eröffnungsrede. Doch die Bewunderung des WEF-Chefs Klaus Schwab und mancher Wirtschaftsführer wird längst nicht von allen geteilt.
Armin Müller ist Autor der Redaktion Tamedia. Von 2018 bis Januar 2022 war er Mitglied der Chefredaktion Tamedia. Davor war er unter anderem für «SonntagsZeitung», «Handelszeitung» und «CASH» tätig.
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