Die wenigsten Schafe sterben wegen Wölfen
Der Wolfschutz soll gelockert werden. Der Blick in die Zahlen zeigt jedoch: Nur ein Bruchteil der Schafe, die pro Jahr sterben, werden von Wölfen gerissen.

Gut 60000 Schafe waren 2018 im Kanton Bern erfasst; fünf Jahre zuvor waren es noch rund 75000 Stück. 2018 wurden im Kanton Bern insgesamt knapp 40 Begegnungen – Risse, Sichtungen oder Spuren – mit Wölfen registriert; 10-mal konnte die Gegenwart eines Bären bestätigt werden. Je nach Quelle werden kantonsweit pro Jahr wenige Dutzend bis gegen hundert Schafe von Wölfen oder Luchsen gerissen. Das ist ein Bruchteil des effektiven Bestandes.
«Das zeigt, dass die laufenden Diskussionen um grosse Beutegreifer – allen voran um den Wolf – heute weniger aufgrund von Fakten als vielmehr auf Basis von Emotionen geführt werden», sagt Andreas Moser. Der Biologe hat seit 2012, seit einer Studie der Arbeitsgemeinschaft Alpwirtschaftliche Beratung, die die Abgänge von Schafen auf den Alpen objektiv berechnete, mehrere Dokumentationen in der Sendereihe «Netz Natur» des Schweizer Fernsehens über das Thema der Wölfe in der Schweiz produziert.
Auch heute – sieben Jahre später – gibt es eine starke Lobby, die Aussagen wie «Der Wolf ist die grösste Bedrohung der Berglandwirtschaft» nur zu gerne unterschreibt und wiedergibt. Im Kanton Bern kämpft der SVP-Grossrat Thomas Knutti mit seiner «Vereinigung zum Schutz vor Wild- und Nutztieren vor Grossraubtieren im Kanton Bern» an vorderster Front gegen den Wolf. Gegenüber dem «Schweizer Bauern» sagte der Lastwagenchauffeur aus dem Simmental Anfang 2018, man müsse den Wolf wieder ausrotten; an der Mitgliederversammlung des Vereins wurde der Abschuss des Wolfes M76 gefordert. Am Mittwoch plädierte der Nationalrat für eine Lockerung des Wolfsschutzes – es ist nun am Ständerat, korrigierend einzugreifen.
400 Tiere verenden pro Jahr
Tatsache ist indes: Der Wolf tötet nur einen Bruchteil der Schafe, die Jahr für Jahr auf Alpen zu Tode kommen – schweizweit sowie im Kanton Bern. Die von Moser erwähnte Studie zeigt, dass im Sommer 2011 rund 4200 Tiere zu Tode gekommen sind. Das sind rund 2 Prozent aller Tiere, die im ganzen Land gesömmert wurden.
Umgerechnet auf den Kanton Bern, wo pro Jahr rund 20000 Schafe gesömmert werden, würde das bedeuten, dass jedes Jahr bis zu 400 Tiere sterben wegen Krankheiten, Abstürzen oder weil sie nicht artgerecht gehalten werden. Zum Vergleich: Gemäss offiziellen Angaben wurden 2018 im Kanton Bern 29 Nutztiere von Wölfen gerissen, 2017 waren es 69, 2016 deren 13, 2015 gerade mal 3 und 2014 10 Tiere. Kurzum: Ein Bruchteil der Schafe, die jedes Jahr sterben, fällt Wölfen zum Opfer.
Veterinärdienst im Einsatz
Insider aus Schäfer- und Jägerkreisen berichten gegenüber dieser Zeitung hingegen von Schafen, die Ende Sommer auf Alpen im westlichen Oberland oder zwischen Zulgtal und Habkern zurückgelassen werden, weil es zu aufwendig wäre, sie ins Tal zurückzuholen, oder weil sie sich in unwegsamem Gelände verstiegen haben.
Ihren Namen wollen diese Männer indes nicht in der Zeitung lesen – nicht zuletzt, weil sie die Reaktionen der Anti-Wolf-Lobby fürchten. Laut Kantonstierarzt Reto Wyss rückt der Veterinärdienst des Kantons 50- bis 60-mal im Jahr wegen Tierschutzmeldungen zu Schafen aus. Obschon Wolfsrisse etwa gleich oft ein Thema sind, fordert aber niemand schärferes Vorgehen gegen Schafhalter, welche gegen die Tierschutzverordnung verstossen.
«Der Wolf wird bleiben»
Reinhard Schnidrig, Leiter Sektion Wildtiere und Waldbiodiversität im Bundesamt für Umwelt, sagt, dass in den Diskussionen für die Gesetzgebung zum Umgang mit dem Wolf nur rund ein Drittel der vorgebrachten Argumente auf Fakten basierten, und fügt an: «Weltanschauungen und der Zeitgeist spielen eine sehr wichtige Rolle.» Die Aussage, es gebe einen totalen Schutz für den Wolf, verneint er.
Wo die Raubtiere zu viel Schaden anrichteten, müssten Abschüsse möglich sein, sagt Schnidrig – fügt aber auch an: «Der Wolf wird bleiben, und er wird sich vermehren. Denn er kann mit dem aktuellen Umfeld, das der Mensch ihm bietet, sehr gut umgehen.» Oder wie Biologe Andreas Moser es formuliert: «Der Wolf ist uns ähnlicher, als uns lieb ist.»
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