Die Theaterlegende will nicht mehr
Arthur Millers «Tod eines Handlungsreisenden» ist die letzte Inszenierung von Regie-Legende Gerd Heinz. Ein klingelndes Handy war der einzige Aufreger der Premiere.

Gerd Heinz muss niemandem mehr etwas beweisen. 60 Jahre lang hat der 80-Jährige Theater gemacht, als Schauspieler, als Regisseur und als Theaterleiter. Erfolgreich war er in allen Disziplinen und zwar bereits in jungen Jahren. Er muss nicht mehr – und er will auch nicht mehr. Arthur Millers «Tod eines Handlungsreisenden», das er im Stadttheater inszeniert, ist alles andere als ein Abschiedsfeuerwerk als Schlusspunkt einer langen Karriere.
Alles ist schlicht
Die Bühne im Stadttheater ist weitgehend leer gefegt, das Publikum blickt an die Backstein-Brandmauer, vorbei an ein wenig Interieur, das sich gemächlich auf der Drehbühne bewegt: zwei Betten, zwei Stühle, ein Kühlschrank, ein Tisch. Ein Understatement, das schreit: Hier vertraut der Regisseur auf das Bühnenpersonal und auf den Text. Statt sich mit Kniffs und Knallerei in den Vordergrund zu gockeln.
Das ist tendenziell wohltuend, weil im deutschsprachigen Theater das Gegenteil dominiert: Regisseure zerfleddern der Aufmerksamkeit wegen die Texte oder setzen auf unverständlichen Zusatzballast. Gerd Heinz' Vorgehensweise ist im Grundsatz berechtigt. Wenn auch in diesem Fall mit Problemen behaftet.
Berechtigt, weil «Tod eines Handlungsreisenden» eine gut erzählte Geschichte ist. Das Drama von 1949 ist das erfolgreichste von Arthur Miller, der noch im Jahr der Uraufführung den Pulitzerpreis gewann. Und, andererseits, weil die Schauspielerinnen und Schauspieler den Raum, der Gerd Heinz ihnen lässt, gerne und gut ausfüllen: allen voran Jürg Wisbach als Kaufmann Willy Loman und Chantal Le Moign als dessen Frau Linda. Da spielen Charakterschauspieler auf hohem Niveau.
Aus der Traum
Das Stück handelt vom gescheiterten American Dream, von glänzenden Fassaden vor dunklen Abgründen. Der erfahrene Handlungsreisende Willy Loman ist beliebt und erfolgreich, als Vater und Hausherr ein viriler Vorturner des You-can-get-it-if-you-really-want-Gedankens. Die Söhne Biff und Happy (Luka Dimic und Gabriel Schneider) schauen zu ihm auf und werden von ihm zu Leistungswillen angestachelt.
Dass das alles ein einziges Lügengebilde ist, zeigt sich bereits in den ersten Minuten. Von da an geht es zweieinhalb Stunden vor allem in eine Richtung: bergab. Das Stück erlegt die Unaufrichtigkeit der Prahlhans-Kapitalisten scheibchenweise und tut dies durchaus raffiniert. Die kleine Welt spiegelt das grosse System. Überraschendes bleibt weitgehend aus, doch die zeitliche Verschachtelung hält die Handlung spannend.
Zum Glück haben Gerd Heinz und sein Team naheliegende Trump-Anspielungen tunlichst vermieden. Nur: Die kleine Welt der Lomans ist eine Welt von 1949, die uns nicht mehr viel sagen will. Heillos verstaubte Rollenbilder werden ungebrochen reproduziert. Die Frauenrollen: Ehefrau und Mutter Linda hält dem Patriarchen Willy den Rücken frei. Die andere Dame ist eine Geliebte (Irina Wrona), mit der sich Willy auf Reisen vergnügt. Zwei Statistinnen spielen Dummchen, die sich von den Loman-Söhnen aufreissen lassen. Wer eine solche Ausgangslage so unbearbeitet lässt, macht das Theater zum Museum.
Akustische Katastrophe
Und dann sind da noch die technischen Probleme: Nicht zum ersten Mal zeigt sich im Stadttheater, dass die Brandmauer zwar wunderschön alt ist, aber zwangsläufig in die akustische Katastrophe führt. Der Schall versinkt in der Tiefe der Bühne. Da können die Schauspielerinnen und Schauspieler noch so gut sprechen, sie haben Mühe rüberzukommen.
Trotz vielen glanzvollen Momenten berührt einen die letzte Inszenierung von Gerd Heinz selten. Zu reden gibt nach der Premiere denn auch der einzige Moment, der definitiv nichts mit 1949 am Hut hat: In den Zuschauerreihen hat kurz vor der Pause ein Handy minutenlang geklingelt.
Da kann man wohl nichts machen. Aber bei Miller könnte man mehr machen, müsste, unbedingt.
«Tod eines Handlungsreisenden»: Noch bis 12. Juni im Stadttheater Bern.
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