Die Stunde der Amateure
Der Fall Snowden beleuchtet drastisch die Privatisierung der US-Geheimdienste: Kleine IT-Malocher erhalten Zugang zu Kronjuwelen, derweil ihre Arbeitgeber am Trog der Staatsaufträge fett werden.
Es habe in der amerikanischen Geschichte «kein wichtigeres Leck» als die Enthüllungen des NSA-Mannes Edward Snowden gegeben, befand Daniel Ellsberg im britischen «Guardian». Ellsberg selber hatte durch die unautorisierte Publizierung der «Pentagon Papers» 1971 Weltruhm erlangt und landete dafür auf der Feindesliste Richard Nixons ganz oben.
Mag sein, doch zeigt Ed Snowdens Flucht an die Öffentlichkeit überdies, wie amateurhaft die US-Dienste agieren und wie gross ihre Sicherheitsrisiken sind. Denn wie das Pentagon, das zunehmend militärische Funktionen an private Firmen auslagert – sogenannte Contractors wie etwa die Söldnerfirma Blackwater –, verlassen sich inzwischen auch die US-Geheimdienste auf ein Sammelsurium von Privatunternehmen und deren Mitarbeiter, um zu spionieren und die Datenberge des digitalen Zeitalters auszuwerten.
Nur Angestellter des Contractors
Edward Snowden ist der Prototyp dieses neuartigen Angestellten: Ein Mann ohne Schulabschluss, der kaum an Computern ausgebildet wurde. Vielleicht ist Snowden ein Computergenie. Wahrscheinlich aber ist er keines, sondern eher ein IT-Malocher, der diverse Sicherheitsüberprüfungen auch deshalb problemlos überwand, weil er sich 2003 freiwillig zur Armee gemeldet hatte. Nichts prädestinierte diesen Mann dazu, mit den brisantesten Geheimnissen des amerikanischen Staats hantieren zu dürfen. Zumal er bekanntlich nicht einmal für die Regierung arbeitete, sondern der NSA als Angestellter des Contractors Booz Allen Hamilton zugeordnet war.
Doch ausgerechnet er hatte nach eigenem Bekunden «Zugang zu den Listen aller NSA-Beschäftigten», ja zu «geheimen Stützpunkten» und Agenten rund um den Globus. Was hier zum Vorschein kommt, ist die Stunde der Amateure: Ein kleiner Leiharbeiter sitzt vor seinem NSA-Bildschirm und überblickt das gesamte klandestine Imperium amerikanischer Macht. «Die IT-Würstchen sind die Chiffrier-Sekretärinnen des 21. Jahrhunderts; obwohl sie ganz unten stehen, sehen sie alles», lautet das Urteil des ehemaligen NSA-Mitarbeiters John Schindler.
Grosszügige Staatsaufträge
Und ausserdem sind sie eben Leiharbeiter und damit passende Accessoires in einer Kultur des Klandestinen, die rapide privatisiert wird. «Kein einziges Telefon und kein einziger Computer» in der NSA-Zentrale in Fort Meade vor den Toren Washingtons sei im Regierungsbesitz gewesen, sagt der ehemalige NSA-Boss Michael Hayden. Rüstungskonzerne wie Northrup Grumman, Softwarefirmen wie Palantir und Consulting-Riesen wie Booz Allen Hamilton bilden inzwischen das Rückgrat der weltweiten US-Geheimdienstmaschine und werden fett am Trog der Staatsaufträge.
Ausserdem funktioniert die Drehtür zwischen Diensten und Industrie fabelhaft: Barack Obamas Geheimdienstkoordinator James Clapper kommt von Booz Allen Hamilton, sein Vorgänger Mike McConnell kehrte dorthin zurück. Wenn schon Ed Snowden als «IT-Würstchen» in Hawaii rund 200'000 Dollar pro Jahr verdiente, lässt sich unschwer erahnen, welche Summen Ex-Generäle und Chef-Schlapphüte wie Hayden oder Clapper in der Privatindustrie einstreichen.
Jagd auf Snowden
Untermauert wird das wacklige Gebäude der Dienste von extremer und zugleich absurder Geheimniskrämerei trotz Millionen von Zugangsberechtigten: Rund fünf Millionen Geheimnisträger bevölkern das klandestine Reich, nahezu anderthalb Millionen haben Zugang zu allerhöchsten Geheimnisstufen. Und von diesen anderthalb Millionen sind über ein Drittel private Contractors. Das gesamte System, klagte schon vor geraumer Zeit der damalige stellvertretende Verteidigungsminister John Hamre, sei «erbärmlich». Zumindest grenzt es an ein Wunder, dass bislang nicht mehr «IT-Würstchen» ausgepackt haben.
Nun wird dieser aufgeblähte Apparat, von dessen Fähigkeiten zum Absaugen und Abschöpfen die Stasi nur hätte träumen können, Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um Ed Snowdens habhaft zu werden und ihm den Prozess zu machen. Denn nur das Statuieren eines Exempels, so die Überzeugung der Aufseher über die nationale Sicherheit, werde einen Wiederholungsfall von ähnlicher Tragweite verhindern. Dabei treibt diese Mandarine des Geheimen nichts mehr um als die Angst, Snowden werde in China bleiben und weitere Geheimnisse offenbaren.
Viele Möglichkeiten bleiben dem Renegaten nicht: Weltweite Auslieferungsabkommen versperren mögliche Fluchtwege, selbst Island wird sich seinetwegen wohl kaum auf einen Streit mit dem Big Dog einlassen. Die Regierung, sagt der ehemalige NSA-Mann Thomas Drake, brenne nur darauf, «Rache und Vergeltung» zu üben. Drake weiss, wovon er redet: Nachdem er Skandale innerhalb der NSA angeprangert hatte, stellte ihm der Staat gnadenlos nach.
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