Die Stimmbürger wollen Klarheit – keine Denksportaufgabe
Abstimmungsorgie?Am 15. Mai stimmen die Zürcher über sieben Vorlagen ab. Von Ruedi Baumann Für Politiker ist es eine Herausforderung, für alle anderen eine Zumutung: Das Abstimmungscouvert ist so prall gefüllt, dass viele überfordert sind: 7 Vorlagen mit 14 Feldern. Mathematisch entspricht das einem Sporttoto-Zettel mit 14 Spielen und 4,8 Millionen Varianten. Der Unterschied zum Toto: Fussballteams sind leichter zu unterscheiden als Initiativen zum Steuer- oder Finanzausgleichsgesetz. Die anspruchsvollste Vorlage ist das Steuergesetz: Drei verschiedene Vorschläge, drei Stichfragen plus der Status quo. Allein bei dieser einzigen Vorlage sind 729 Abtimmungsvarianten denkbar. Gefordert sind die Stimmenden auch mit den gegen 100 verschiedenen Steuertarifen und dem Ausgleich der kalten Progression.Der Staat verwirrt seine Stimmbürger zusätzlich mit den blauen Abstimmungszetteln. Statt die Absender der Gegenvorschläge bereits auf dem Stimmbogen zu nennen – SP oder Grünliberale –, werden bloss die drei Varianten mit Werbetiteln aufgeführt: «Steuerentlastung für natürliche Personen», «nachhaltige Steuerstrategie» und «tiefere Steuern für Familien». Das tönt so verlockend, dass wir am liebsten alle drei ankreuzen würden. Was möglich, aber nicht umsetzbar ist. Deshalb musste der Kanton seine besten Mathematiker aufbieten, um das Jekami mit drei Stichfragen wieder mühsam auseinanderzubeineln.Die Denksportaufgabe für die Stimmbürger geht weiter. Auf dem Stimmzettel Nummer 2, ebenfalls mit Stichfrage, folgt das Finanzausgleichsgesetz des Kantonsrats, das sich mit dem Gegenvorschlag «Für ein gerechtes Finanzausgleichsgesetz» messen muss. Erst auf Seite 17 der Abstimmungsbroschüre wird dieser angeblich gerechte Gegenvorschlag erklärt. Dass es sich beim Absender um die junge SVP und FDP handelt, die mit einem Schulbubentrickli die Städte Zürich und Winterthur disziplinieren möchten, wird mit keinem Wort erwähnt. Verwirrung um Krankenkassen Die Zermürbungstaktik geht weiter. Vorlage Nummer 3 verspricht Prämienverbilligungen bei den Krankenkassen. In Tat und Wahrheit handelt es sich um eine Reduktion des Beitrags. Dass der Kanton damit 70 Millionen Franken sparen will, steht erst auf Seite 20 unten in der Beilage. Die AL-Volksinitiative, die das Gegenteil will – höhere Beiträge für Minderbemittelte – folgt dann erst auf Stimmzettel Nummer 7. Um doch noch etwas Klarheit zu schaffen: Prämienverbilligung heisst Prämienverteuerung, tragbare Krankenkassenprämien bedeuten Prämienverbilligung. Die Parteien behelfen sich mit Stimmspickzetteln auf Inseraten oder Flyern. Der Staat hat zwei Pflichten: sich verständlich zu machen und eine klare Meinungsäusserung zu ermöglichen. Die erste ist eindeutig nicht erfüllt. Gründe gibts mehrere: Das neue Instrument des Konstruktiven Referendums, die Parteien, die sich im Wahljahr exzessiv mit Vorstössen profilieren, sowie überholte Regeln für die Gestaltung der Stimmzettel. Zudem hätte man von den Grünliberalen und den Alternativen erwarten können, dass sie ihre verunglückten Initiativen zurückziehen.
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