Spitalbeben in BernDie Spitalschliessungen könnten den Mangel an Hausärzten verschärfen
Das Aus der Spitäler Münsingen und Tiefenau betrifft auch die Hausärztinnen. Sie befürchten einen Weiterbildungsstau.

Die bevorstehenden Schliessungen der Spitäler Münsingen und Tiefenau sorgen nicht nur bei den betroffenen Angestellten für Unmut. Auch die Berner Hausärztinnen und Hausärzte sind besorgt. Sie befürchten, dass das Aus der beiden Standorte das Nachwuchsproblem in der Grundversorgung verschärfen könnte.
«Wir rechnen mit einem ‹Weiterbildungsstau›», sagt Corinne Sydler – und weiter: «Der Übertritt von neuen Hausärztinnen und Hausärzten in die Praxen könnte sich dadurch verzögern», so die Co-Präsidentin der Berner Haus- und Kinderärztinnen (VBHK).
Doch worum geht es überhaupt?
Bereits seit Jahren zeichnet sich in der Schweiz ein Mangel an Hausärztinnen und Hausärzten ab, der sich laufend weiter zuspitzt. Die Folge: Praxen werden zusammengelegt oder geschlossen, weil keine Nachfolgelösungen gefunden werden.
Im Kanton Bern wurde deswegen in die Aus- und Weiterbildung investiert und etwa ein spezielles Praxisassistenzprogramm entwickelt. So sollen junge Ärztinnen und Ärzte dazu motiviert werden, sich in der Grundversorgung zu spezialisieren. Die Weiterbildung zum Facharzt Allgemeine Innere Medizin respektive Hausarzt dauert fünf Jahre und findet mehrheitlich in Spitälern statt.
Tiefenau war bei Hausärzten beliebt
Sowohl in Münsingen als auch in der Berner Tiefenau werden solche Assistenzstellen heute angeboten. «Vom Patientenspektrum und der Arbeitsweise her waren beide Spitäler eine gute Vorbereitung auf die Praxistätigkeit», sagt Corinne Sydler. Insbesondere das Tiefenauspital sei für die Weiterbildung zur Hausärztin im gesamten Kanton Bern sehr beliebt gewesen.

Denn: Es ist ein sogenanntes A-Spital. Eines der fünf Weiterbildungsjahre muss in einer Einrichtung mit diesem Label absolviert werden. Massgebend für die Einteilung der Spitäler sind etwa die Anzahl Patienten, die Anzahl Leitende Ärzte oder ob eine Intensivstation vorhanden ist. «Dieses A-Jahr ist schon jetzt wie ein Nadelöhr in unserer Weiterbildung, es gibt Wartezeiten und eher zu wenig solche Stellen im Kanton Bern», sagt Sydler.
Mit der Schliessung der beiden Spitäler drohen diese Weiterbildungsstellen nun verloren zu gehen. Sydler habe auch schon von Assistenzärztinnen gehört, «die verzweifelt dastehen mit einem Arbeitsvertrag im Tiefenau für 2024 bis 2025 und jetzt nicht wissen, wo sie unterkommen».
Von der Problematik betroffen sind aber nicht nur die Hausärztinnen, sondern auch alle anderen Fachgebiete, für welche in Münsingen und der Tiefenau Weiterbildungsstellen bestehen.
Insel-Gruppe will Angebot am Unispital ausbauen
Wie viele Assistenzstellen dort heute angeboten werden, kommuniziert die Insel-Gruppe auf Anfrage nicht. Gemäss einer Umfrage des ärztlichen Berufsverbands FMH waren 2022 in Münsingen aber 14 Assistenzärzte tätig, davon 6 im Fachgebiet Innere Medizin. In der Tiefenau waren es 57, wovon 29 die Weiterbildung zum Hausarzt machten. Im gesamten Kanton Bern gab es demnach rund 530 Weiterbildungsstellen in der Inneren Medizin.
Was mit den betroffenen Plätzen in Münsingen und der Tiefenau nach der Schliessung geschieht, ist nicht ganz klar. Die Insel-Gruppe schreibt auf Anfrage lediglich, dass bei allen medizinischen Angeboten, die in den beiden Spitälern erbracht werden, eine Integration ins Inselspital geprüft werde.
«Ich bin zwar keine Hellseherin. Aber ich befürchte, dass nicht alle Weiterbildungsstellen weitergeführt werden.»
Bereits beschlossen sei eine Erweiterung der dortigen Notfallkapazitäten und des Bereichs Innere Medizin. «Geplante Integrationen von Angeboten beinhalten auch die Weiterbildungsstellen», schreibt die Medienstelle weiter – ohne jedoch Zahlen zu nennen. Angehende Hausärztinnen und Hausärzte könnten aber auch künftig von «einem umfangreichen Weiterbildungsangebot profitieren».
Trotzdem: Heutige Assistenzärzte sollten zwar, «wenn immer möglich», angefangene Weiterbildungsjahre an der Insel-Gruppe abschliessen können. Bei neu eintretenden Assistenzärztinnen hingegen habe man ihr Ausbildungsjahr in den Spitälern Tiefenau und Münsingen absagen müssen. Ob ihnen eine Alternative angeboten wurde, schreibt die Medienstelle nicht.
Gesundheitsdirektion ist zuversichtlich
Insgesamt bietet die Insel-Gruppe heute gemäss Zahlen der zuständigen Gesundheitsdirektion (GSI) rund 760 Weiterbildungsstellen an. Beim Kanton glaubt man, dass dies auch in Zukunft so sein wird.
Gundekar Giebel, Medienverantwortlicher der GSI, schreibt dazu: «Gemäss Informationen der Insel-Gruppe werden die bisher in den Spitälern Münsingen und Tiefenau angebotenen Weiterbildungsstellen an anderen Standorten weitergeführt.» Aus heutiger Sicht sollte es daher zu keinem Abbau kommen, so Giebel.
Hausärztin Corinne Sydler ist hingegen skeptisch: «Ich bin zwar keine Hellseherin. Aber ich befürchte, dass nicht alle Weiterbildungsstellen weitergeführt werden. Unser Nachwuchsproblem wird dies zusätzlich verschärfen.»
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