Die Spaltung der Arabischen Liga
Die Türkei hat sich gegen Assad gewendet, der Irak hält zu ihm. Der Nahost-Experte Arnold Hottinger erklärt im dritten Teil der Serie, welche Interessen die arabischen Staaten in Syrien haben.
Es besteht kein Zweifel, dass die ursprünglichen Volkserhebungen in Syrien durch die anderen Volkserhebungen im arabischen Raum angeregt und beeinflusst wurden, besonders die tunesische und die ägyptische, denen es gelang, ihre Gewaltherrscher zu stürzen. Doch die besondere Zusammensetzung der syrischen Armee und Sicherheitskräfte, die alle von alawitischen Offizieren gelenkt und geleitet werden, bedingte zuerst, dass die Sicherheitskräfte sehr rücksichtslos gegen die Demonstranten vorgingen, was zur Ausbreitung der Demonstrationen führte. Sie bedingte später, dass sunnitische Soldaten zu desertieren begannen und dass die gesamte Protestbewegung durch ihre Präsenz in den Sog der Militarisierung geriet.
Im Jemen desertierten ganze Einheiten
Die Entwicklung war noch am ehesten mit jener im Jemen vergleichbar. Dort jedoch spaltete sich die Armee unter dem Druck der zivilen Demonstrationen vertikal, bedeutende Armeeeinheiten sagten sich mit ihrer gesamten Führung vom Staatschef los und erklärten sich für die Protestbewegung. Andere Einheiten, die unter der Führung von engen Verwandten des Staatschefs standen, hielten weiter zu ihm und verhinderten so, dass die Protestbewegung sich durchsetzen konnte.
In Syrien spaltete sich die Armee nicht vertikal, sondern sie bröckelte horizontal ab. Sunnitische Soldaten und Offiziere meist niederen Rangs verliessen die Armee individuell und in kleinen Gruppen. Es gab jedoch keine Abspaltung ganzer Einheiten, weil die alawitische Führung zusammenhielt.
Versöhnung der Syrer als Ziel
Die Arabische Liga versuchte, regelnd in Syrien einzugreifen. Doch es erwies sich, dass die Staaten der Liga unterschiedliche Ziele verfolgten, einige von ihnen (etwa Algerien, der Sudan, der Irak, Libanon) sahen es, wie Damaskus selbst, als das Ziel der arabischen Beobachtermission, eine Versöhnung unter den Syrern herbeizuführen.
Die von Damaskus versprochene, aber nie durchgeführte Zurücknahme der Armee aus den bewohnten Gegenden und die darauf folgenden Aussöhnungsschritte sollten in ihren Augen dazu dienen, ein womöglich reformiertes syrisches Regime unter Präsident Assad oder einem noch zu bestimmenden Nachfolger weiterzuführen.
Saudiarabien fürchtet den Einfluss des Iran
Doch andere, in erster Linie die Golfstaaten unter der Führung Saudiarabiens, strebten die Absetzung Assads an und den Beginn eines neuen Regimes in Syrien, das sie sich vermutlich als von dem iranischen Bündnis frei vorstellten. Dies war für die Saudis ohne Zweifel der Grund ihrer Feindschaft gegen Assad.
Saudiarabien fürchtet, vielleicht in übertriebenem Masse, den iranischen, schiitischen Einfluss auf die sunnitisch arabische Welt. Riad erblickt in ihm iranisches Hegemoniestreben, und Saudiarabien sieht sich selbst als den sunnitischen Gegenpol, dazu bestimmt, diesem Hegemoniestreben entgegenzuwirken.
Irak ebenso das «Werkzeug des Iran»
Zu Recht sind die Saudis der Ansicht, dass Syrien der wichtigste Verbündete des Iran in der arabischen Welt sei. Neuerdings gehört allerdings der Irak unter der Führung al-Malikis in saudischen Augen ebenfalls zu der Gruppe der «Werkzeuge des Iran». Lange Zeit hatte die saudische Politik gegenüber dem Assad-Regime darauf abgezielt, Syrien durch Freundschaftserweisungen nahezustehen und auf diese Weise ein Gegengewicht zum iranischen Einfluss zu bilden.
Doch unter dem Eindruck des Volksaufstandes und seiner brutalen Niederhaltung hatte Saudiarabien zur gegenteiligen Politik übergewechselt. Es trat nun zuerst mahnend, dann, als es wenig Gehör fand, feindlich Bashar al-Assad entgegen.
Die Türkei, vom Freund zum Feind
Die Türkei vollzog eine ähnliche Wende vom engen Freund, dessen Freundschaft auch einer freundschaftlichen Kontrolle gleichkam, zum Mahner, und als dies erfolglos blieb, zum offenen Kritiker und sogar zum Asylgewährer der verfolgten Demonstranten und Überläufer aus den grenznahen nördlichen Provinzen. Doch dass die Türkei militärisch in Syrien eingreifen könnte, ist unwahrscheinlich.
Die Beziehungen zwischen dem türkischen Ministerpräsidenten und seiner Armee sind noch immer sehr delikat, wie die immer noch laufenden Monsterprozesse gegen Armeeoffiziere, die unter den Namen «Ergenekon» und «Vorschlaghammer» laufen, illustrieren. Und es ist unwahrscheinlich, dass er selbst oder die Spitzenoffiziere der Streitkräfte diese heiklen Beziehungen der Feuerprobe von Kriegshandlungen gegen das Nachbarland aussetzen möchten.
Saudische Waffen für die Opposition?
Es war Saudiarabien, das den Einsatz der Liga der Beobachter nach einem Monat beendete, weil es zu Recht der Ansicht war, dass Damaskus seinen Versprechen nicht nachgekommen war. Die anderen Staaten der Liga schlossen sich nach einigem Zögern an. Alle gemeinsam fanden die gesichtsrettende Ausflucht, die Syrien-Frage an den Sicherheitsrat zurückzugeben. Obwohl es damals schon klar war, dass die Russen und Chinesen dort alle gegen das syrische Regime gerichteten Entschlüsse blockieren würden.
Es ist denkbar, dass Saudiarabien sich entschliesst, oder bereits entschlossen hat, den syrischen Oppositionellen heimlich mit Geld und möglicherweise mit Waffen zu Hilfe zu kommen. Dies kann vielleicht deren Durchhaltewillen stärken. Doch für sich alleine wird es den Krieg eher verlängern als entscheiden.
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